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 am:   23.02.16

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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W a n d e r b e r i c h t e  -  Ö s t e r r e i c h

 

 

Inhaltsverzeichnis:       Weitwandern in Osttirol   Von Thomas Striebig

 

                                 Tirol den Tirolern? – Nein!

                                  Unterwegs im Geigenkamm – trotzdem!

                                  Von Thomas Striebig

 

                                 Die Lechquellenrunde

                                  Eine einwöchige Rundtour auf der Alpennordseite im Juli 2012

                                  Von Friedhelm Arning

 

 

Weitwandern in Osttirol

 

 Von Thomas Striebig

 

Vielleicht erinnern sich manche noch an den letzten „blauen“ Weitwanderer mit dem Schwerpunkt-Thema „Osttirol und Kärnten“. Dort hatte ich eine vier Wanderwochen füllende Route „Rund um Osttirol“ skizziert, rund um jenes österreichisch gebliebene östliche Anhängsel Südtirols also, dessen Bezirkshauptstadt Lienz jederzeit einen Besuch wert ist. Ich will mich hier nicht wiederholen, im Gegenteil, diese Route hat durchaus Schattenseiten. Nicht immer kann man problemlos Osttirols Grenzen folgen; vor allem im Westen, im Gebiet der Villgrater (oder Deferegger) Berge und der Rieserfernergruppe mangelt es sowohl an Übernachtungsmöglichkeiten als auch an Weganlagen, zudem müssen längere Passagen auf Asphalt bzw. im Tal in Kauf genommen werden. Aber die ungemein abwechslungsreichen Bergkämme Osttirols, die auf engem Raum so ziemlich alle Landschaftstypen der österreichischen Alpen aufweisen, sind für mehrtägige Höhenwanderungen geradezu prädestiniert. Wobei die Anforderungen fast ebenso vielfältig sind wie die Landschaftsbilder.

 

Die Lienzer Dolomiten sind – was Einheimische begreiflicherweise nicht so gern hören – keine „echten“ Dolomiten, sondern gehören geologisch zu den Nördlichen Kalkalpen; der Bergstock dieser „Dolomiten“ hat ganz einfach die Verschiebung nach Norden nicht mitgemacht. Somit fühlt man sich eher an die Nördlichen Kalkalpen erinnert – ein bisschen Karwendel, ein bisschen Wilder Kaiser. Kletterer nehmen oft weite Anfahrten auf sich, um die zahllosen Routen rund um die Karlsbader Hütte anzugehen, und das will in Österreich viel heißen; ich habe dort z. B. einen Bergführer aus Kitzbühl mit zwei Gästen getroffen – dabei hat Kitzbühl den Wilden Kaiser fast vor der Haustür! Die Zugänge zu den Routen sind kurz, der Fels ist großteils gut, und vor allem sind diese Berge witterungsmäßig begünstigt; viele Regenwolken bleiben entweder an den höheren Bergen der Umgebung hängen. Im Gegensatz zu den Dreitausendern der Tauern und der italienischen Dolomiten erreicht die Große Sandspitze, höchster Gipfel der Lienzer Dolomiten gerade 2770 m; somit verschwindet der Schnee hier viel früher als in der nördlich von Lienz aufragenden Schobergruppe.

 

Aber auch trittsichere Wanderer kommen hier auf ihre Kosten. Und wie! Am besten startet man am Bahnhaltepunkt Nikolsdorf, zwei Stationen östlich von Lienz, und steigt auf dem wilden, abenteuerlichen „Zabarotsteig“ mit seinen 16 Leitern durch eine nicht enden wollende Fels durchsetzte Steilflanke zum Hochstadelhaus des ÖTK bzw. zur privaten Kalser Hütte auf, wobei man sogar sein Gepäck transportieren lassen könnte. Was in diesem Fall zu überlegen wäre, denn 1250 Höhenmeter im Steilgelände sind nicht ohne, zumal am ersten Wandertag. Wenn irgend möglich, besteigt man den Hochstadel (2679 m), den östlichsten Hochgipfel der Lienzer mit sensationellem Blick besonders nach Osten (auch der Weißensee ist sichtbar) und ins 2000 m tiefer gelegene Drautal; der normale Weg erfordert bei gutem Wetter nicht einmal besondere Trittsicherheit. Dann geht es auf dem spektakulären, abwechslungsreichen „Dreitörlweg“ zur Karlsbader Hütte des DAV und vielleicht, wegen des dortigen Massenandrangs, am selben Tag noch weiter zum Kerschbaumeralm-Schutzhaus (ÖTK). Wer in der chronisch überfüllten Karlsbader Hütte noch ein Plätzchen findet, sollte sich die durch einen gerölligen Steig erschlossene Laserzwand (2614 m) nicht entgehen lassen; dagegen dürfte der Hausberg der Kerschbaumeralm, der von fast allen Straßen von Lienz aus sichtbare Spitzkofel (2713 m), für viele Wanderer etwas zu anspruchsvoll sein. Der Weiterweg führt hinauf zu Kühboden- und Hallebachtörl, somit noch einmal in über 2440 m Höhe, und jenseits ein langes, wildes Tal hinab zurück zur Drau, die man bei der Luggauer Brücke erreicht (Bus, Bahn oder Taxi nach Lienz, unbedingt vorher organisieren!).

 

Wie der Name andeutet, hat man bei diesem Abstieg zuletzt einen Jahrhunderte alten Wallfahrerweg vom Drautal nach Maria Luggau im Lesachtal benutzt, dem man natürlich auch nach Maria Luggau folgen könnte, um noch zwei Tage anzuhängen und auf dem „Gailtaler Höhenweg“ den immer sanfteren Lienzer Dolomiten weiter nach Westen zu folgen. Vorteil: Herrliche Aussichtspunkte und wenig Besucher, wenn man von der Umgebung der architektonisch – sagen wir mal: fragwürdigen – Connyalm (Sessellift ab Obertilliach) absieht. Nachteil: Außer in der Connyalm gibt es auf der Höhe keine Übernachtungsmöglichkeit; man kann allerdings auch in das immerhin noch 1450 m hoch gelegene Obertilliach mit seinem mit vollem Recht unter Denkmalschutz stehenden Ortskern absteigen und ein Quartier suchen. Nach der Überschreitung des völlig harmlosen, aber immer noch 2317 m hohen Golzentipp (prächtiger Aussichtspunkt) gelangt man nach nochmaligem langem Abstieg nach Sillian, von wo die Rückfahrt nach Lienz aufgrund der guten Bahnverbindungen kein Problem darstellt.

 

Die Lienzer Dolomiten sind somit ein wunderbares, nicht überlaufenes und landschaftlich sehr abwechslungsreiches Wanderrevier, das sich jedem trittsicheren Bergwanderer anbietet. Allerdings sollten in den oft steilen Geröllhängen keine Schneereste mehr vorhanden sein, was in der Regel aber schon Anfang, spätestens Mitte Juli der Fall ist.

 

Der am österreichisch-italienischen Grenzkamm verlaufende Karnische Höhenweg ist sicher kein Geheimtipp mehr. Der landschaftliche Abwechslungsreichtum auf der jeweils zur Hälfte in Kärnten und Osttirol verlaufenden, eine Woche erfordernden Route von Sillian zur Plöckenpassstraße ist kaum zu überbieten, aber das hat sich inzwischen herumgesprochen, weswegen die zu klein konzipierten Hütten oft voll belegt sind. Ohne Voranmeldung sollte man dort in der Hauptsaison nicht gehen. Eine nähere Beschreibung dieser Tour, die auch Teilstück des österreichischen Südalpenwegs 03 ist, erübrigt sich hier meines Erachtens. Wer genauere Informationen wünscht, kann sich gerne per E-Mail an mich wenden (t.striebig@gmx.de).

 

Zwischen dem oberen Drautal, wie sein Südtiroler Pendant auch Pustertal genannt, und dem Defereggental trifft man auf einen nicht übermäßig spektakulären, wegen seiner prachtvollen Sicht auf Hohe Tauern und Dolomiten bei Wanderern jedoch recht beliebten Villgrater Berge oder Deferegger Alpen. Sie werden noch zu den Hohen Tauern gerechnet, allerdings fehlen hier sowohl Dreitausender als auch Gletscher. Da die Bergformen nicht übermäßig wild sind, bieten sich zahlreiche Gipfel auch für Bergwanderer an. Eine Durchquerung ist dagegen nicht ganz unkompliziert. Dies aber eher in organisatorischer als in bergsteigerischer Hinsicht.

 

Zwar findet man direkt oberhalb von Lienz auf 2020 m Höhe und somit 1300 m über der Stadt das sehr aussichtsreich gelegene Hochsteinhaus. Eine Mautstraße führt bis 10 Minuten unterhalb der Hütte, von der Sessellift-Station Sternalm ist man in knapp eineinhalb Stunden oben, zudem ist der Hüttengipfel, das Böse Weibele, ein Zweieinhalbtausender der wirklich harmlosen Sorte und auch für kleinere Kinder geeignet, dabei überaus dankbar. Kein Wunder also, dass es hier oben tagsüber nicht gerade einsam ist. Aber als Ausgangspunkt für mehrtägige Touren eignet sich das Hochsteinhaus kaum. Zwar ist in den letzten Jahren der so genannte Pustertaler Almweg angelegt worden, der eine herrliche Höhenwanderung ermöglicht – man bewegt sich stundenlang ohne große Höhenunterschiede immer in der Nähe der Waldgrenze. Aber die Gölbnerblickhütte, die man evtl. in einer langen Tagesetappe erreichen könnte, bietet leider nur eine große Ferienwohnung mit ca. zehn Betten an – wenn die belegt ist, hat der Weitwanderer Pech gehabt!

 

Aber es geht hier auch anders: Aufstieg vom vorderen Defereggental zur privaten Bloshütte (mehrere Wege bieten sich dabei an, die teilweise sehenswerte Almen berühren), Übergang zur ebenfalls privaten Volkzeiner Hütte, weiter zum unter Denkmalschutz stehenden Almdorf der Oberstaller Alm und hinab nach Innervillgraten (in der Unterstalleralm besteht keine Übernachtungsmöglichkeit mehr, allenfalls in einer der Almhütten der Umgebung, die als Ferienhäuser vermietet werden). Bei dieser Tour sollte man sich Zeit für Gipfelabstecher lassen. Hausberg der Bloshütte ist der Große Regenstein, 2891 m hoch, von der Volkzeiner Hütte bieten sich Großes Degenhorn (2946 m) und Hochgrabe (2951 m) an; das Degenhorn wird gern als Tagestour vom Defreggental aus angegangen, wobei man dank der Bergbahnen von St. Jakob auf 2360 m startet. Mit anderen Worten: Am Degenhorn und am wunderschönen Degensee muss man mit einigem Betrieb rechnen.

 

In Innervillgraten sollte man einen Ruhetag in Erwägung ziehen, denn die Schlussetappe hat es in sich. Der Aufstieg aus dem Tal nach Bad Kalkstein (1640 ), wo man im Gasthof übernachten könnte, und weiter zum Toblacher Pfannhorn (2663 m), zieht sich mächtig in die Länge. Dafür öffnet sich am Gipfel ein Panoramablick auf große Teile der Dolomiten, der seinesgleichen sucht.

 

Auch der Abstieg geht in die Knie, zumal die vor dem Ersten Weltkrieg erbaute Bonner Hütte nicht mehr zu benutzen ist. Endpunkt dieser Durchquerung ist Toblach, wo der Komponist Gustav Mahler (1860-1911) – nach meiner Meinung einer der bedeutendsten und faszinierendsten Komponisten nach Beethoven überhaupt – seine letzten drei Sommerurlaube verbrachte und seine letzten großen Werke, das „Lied von der Erde“, die Sinfonie Nr. 9 und das Adagio der Zehnten, schrieb. Jeden Sommer finden hier Konzerte mit international renommierten Interpreten statt, sein Urlaubsdomizil in Alt-Schluderbach ist zu besichtigen (leider nur samstagvormittags) und eine Mahler-Sinfonie in dieser Umgebung und nach einer solchen Prachttour ist sicher ein noch eindringlicheres Erlebnis als im Konzertsaal zu Hause.

 

Über die übrigen Höhenwanderungen ist schon so viel geschrieben worden, dass ich mich kürzer fassen kann. Die Süd-Nord-Durchquerung der Schobergruppe, deren Gipfel bis fast 3300 m aufragen, beginnt auf der Passhöhe Iselsberg oder bei der Raneralm (bis dorthin Fahrmöglichkeit), so dass man in vier Tagen von Lienz bis zum Fuß des Großglockners wandern kann. Die Route: Raneralm – Wangenitzseehütte (für hochalpin Geübte Möglichkeit, das Petzeck, 3283 m, zu besteigen!) – Lienzer Hütte – Elberfelder Hütte – Böses Weibel (3123 m) – Lucknerhaus. Von dort am Nachmittag Bus zurück nach Lienz. Unterwegs viel Schutt (die Schobergruppe wird zuweilen auch abfällig Schottergruppe genannt!), erst im August ratsam und keinesfalls in schneereichen Sommern.

 

Südlich des Virgentals verläuft der Lasörling-Höhenweg, im Ostteil eine ideale Tour für Familien mit Kindern ab ca. 10 Jahren. Die Wanderung von Matrei in Osttirol zur Zunigalm und weiter über die Zupalseehütte zur Lasörlinghütte steigt zwar bis auf 2500 m Höhe an, gilt aber bei guten Verhältnissen (freilich nur dann!) als ungefährlich. Ständig wird man durch Prachtblicke auf die im Norden aufragende Venedigergruppe verwöhnt. Wenn irgend möglich, sollte man sich eine Besteigung des 3099 m hohen, völlig isoliert stehenden Lasörling nicht entgehen lassen. Die nächste Etappe zur Neuen Reichenberger Hütte führt in größere Höhen und ist deutlich anspruchsvoller und auch anstrengender. Und auch die Schlussstrecke ins Umbaltal (für Hungrige und Durstige Abstecher zur Clarahütte möglich!) und über den Wasserschaupfad an den Umbalfällen vorbei nach Ströden (Bus zurück nach Matrei) sollte im ersten Teil nicht unterschätzt werden.

 

Von der Neuen Reichenberger Hütte an ist der Lasörling- Höhenweg identisch mit dem Venediger-Höhenweg. Der ist so bekannt, dass er hier auch nur in Stichworten dargestellt werden soll. In der skizzierten Richtung ist er vielleicht empfehlenswerter als umgekehrt, weil der anspruchsvollste Abschnitt zwischen Badener und Bonn-Matreier Hütte im Aufstieg begangen wird: eine 600 m hohe, nordseitige Steilflanke in überaus rutschigem Gelände, oft über Altschneefelder, die absolute Trittsicherheit, Schwindelfreiheit, große hochalpine Erfahrung und allerbeste Verhältnisse erfordert. Unbedingt nach den aktuellen Wegverhältnissen erkundigen, der Weg muss meistens zu Saisonbeginn neu angelegt werden!

 

Die Strecke: Matreier Tauernhaus (Bus ab Matrei) – St. Pöltener Hütte – Alte bzw. Neue Prager Hütte – Badener Hütte (hierher auch direkt und sehr schön ab Innergschlöß) – Bonn-Matreier Hütte – Eisseehütte – Neue Sajathütte – Johannishütte (Abstecher zum Defereggenhaus möglich und sehr lohnend!) – Essener-Rostocker Hütte – Ströden (Bus nach Matrei), evtl. weiter über Clarahütte (direkter Übergang ab Essener-Rostocker Hütte weglos und höchst spärlich markiert, nur Ortskundigen zu empfehlen!) – Neue Reichenberger Hütte – St. Jakob in Defereggen. Dauer: 6-8 Tage. Höhepunkt dieser Route ist sicher eine Besteigung des Großvenedigers selbst, nur sollte man dafür in der Neuen Prager Hütte bzw. im Defreggerhaus unbedingt einen Bergführer engagieren; alle Routen zum 3666 m hohen Gipfel führen über gewaltige Gletscher mit großer Spaltengefahr.

 

Bliebe noch die etwas abseitige Kreuzeckgruppe, die man nicht in zwei Absätzen abhandeln sollte.

 

Die Kreuzeckgruppe – vergessenes Hochgebirge in Osttirol und Kärnten

 

Noch weniger kann ein Gebirge, aus der Ferne betrachtet, nicht hergeben als die Kreuzeckgruppe, den Hohen Tauern zugehörig, aber durch das Mölltal von diesen getrennt und nicht einmal 2800 m erreichend. Runde, unten grüne, oben graubraune Berge, ein Gipfel nahezu wie der andere. Ein aus den Nähten geplatztes Mittelgebirge sozusagen. Und ausgerechnet dort soll man wandern? Wo es doch in der Umgebung so wunderschöne, ungleich spektakulärere Berge gibt, Hohe Tauern, Lienzer Dolomiten, Karnischer Hauptkamm, die „echten“ Dolomiten nicht zu vergessen! Und dann soll man auch noch tagelang in dieser unscheinbaren Kreuzeckgruppe unterwegs sein? Nein danke!

 

Mit dieser spontanen Reaktion wäre man nicht alleine. Alleine ist man dagegen oft, wenn man sich tatsächlich mal in diese Region verirrt. Immerhin kann sie mit einer Empfehlung aufwarten: Ein britischer Bergsteiger verglich sie im 19. Jahrhundert mit dem Schottischen Hochland, und der wusste sicher, wovon er sprach.

 

Noch ein Vorteil: Die gesamte Kreuzeckgruppe ist auf dem Kreuzeck-Höhenweg zu durchqueren, immer nördlich der Drau, wobei man in Lienz startet und am Bahnhof Sachsenburg-Möllbrücke oder in Kolbnitz wieder das Tal erreicht. Oder natürlich umgekehrt, nur ist der Aufstieg ab Sachsenburg-Möllbrücke zur ersten Hütte sehr langwierig, während einem ab Kolbnitz immerhin die Kreuzeck-Bahn (Schrägaufzug) einige Hundert Höhenmeter abnimmt. Wir zogen die West-Ost-Richtung vor, weil wir in meinem geliebten Lienz gemütlich zu Mittag essen und noch ein wenig durch die Stadt bummeln wollten. Erst im Lauf des Nachmittags ließen wir uns mit dem Taxi zum Zwischenberger Sattel chauffieren.

 

Natürlich ginge es auch asketischer, aber von der Straße über den Iselsberg müsste man zuerst eine Asphaltstraße und später einen geschotterten Fahrweg begehen, gut und gerne eineinhalb Stunden lang. Wen das nicht stört, der mag die Taxikosten sparen und sich immerhin am ständigen Blick auf das Lienzer Talbecken und die optisch allgegenwärtigen Lienzer Dolomiten erfreuen.

 

Ab Zwischenberger Sattel führt ein schöner Waldweg zu Beginn ziemlich, später weniger steil zu einer kleinen Alm (hübscher Rastplatz) und weiter zum Anna-Schutzhaus (1991 m), vom Charakter eher einem Wanderpfad im Mittelgebirge zu vergleiche; ich kenne in den Vogesen viele Wege, die ungleich wilder sind. Zehn Gehminuten oberhalb der Hütte und über der Waldgrenze steht das riesige „Heimkehrerkreuz“ auf dem Ederplan (man beachte die sprachliche Feinheit in Österreich, wo man von „Heldenfriedhöfen“ und „Heimkehrerkreuzen“ spricht!), und ein Bummel auf diese ungemein aussichtsreiche sanfte Graskuppe, die auch wieder an den Schwarzwald oder die Vogesen erinnert, bedeutet sicher den Höhepunkt dieses ersten Wandertages – wenn denn der Aufstieg zu der ausgesprochen gut bewirtschafteten ÖTK-Hütte überhaupt als Wanderung zu bezeichnen ist. Ja, gut bewirtschaftet ist das Anna-Schutzhaus, und beim Frühstück konnten wir zwischen Marmeladenbrot, Müsli und Rühreiern mit Schinken wählen – auf welcher Hütte gibt es das sonst noch! Außer meinem Begleiter und mir übernachtete in dieser Nacht noch ein Ehepaar aus Klagenfurt oben – das war alles. Und das zur Hauptsaison in Österreich!

 

Der erste „echte“ Wandertag führte uns dann nachdrücklich vor Augen, dass die Kreuzeckgruppe eben doch als Hochgebirge anzusehen ist. Vielleicht noch nicht in der ersten Wanderstunde, einem durch Bergwiesen und anfangs noch kleine Wäldchen führenden Handweg 1300 m über dem Drautal, den ich als Traumstrecke bezeichnen möchte. Aber danach wird die Route zunehmend blockig und quert etwas rutschige Schotterhänge, wo man schon ein wenig aufpassen muss. Erster Höhepunkt der Etappe ist die Gipfelrast auf dem Ziethenkopf (2484 m), wo man auf die schon weit entfernten Lienzer Dolomiten zurückblickt, dann geht es zum schön in den Bergwiesen gelegenen Feldsee hinunter und jenseits wieder kräftig bergauf…

 

Man erkennt aus dieser Beschreibung, dass Höhenwege in der Kreuzeckgruppe wegen des ständigen Bergauf-Bergab schon einige Anforderungen an die Kondition stellen. An das Orientierungsvermögen auch, erst recht bei Nebel, denn der Weg ist zwar vorzüglich und auch neu markiert, verliert sich aber wiederholt in den Wiesen, wo man sich von Farbklecks zu Farbklecks vorarbeiten muss. Später, als wir uns mental schon auf das Etappenziel Hugo-Gerbers-Hütte einstellen wollten, galt es plötzlich auf schmaler Spur einen sicher mehrere hundert Meter abfallenden steilen Grashang zu queren – wehe, wenn man hier bei Nässe unterwegs ist! Und zuletzt wurden die von weitem so unscheinbaren und sanften Kreuzeckberge richtig ungemütlich, denn die Hänge sind, wie wir erkennen mussten, oft steil und von Schutt- und Schrofengelände durchzogen, weswegen der Pfad ständig irgendwelchen Hindernissen ausweichen muss und immer wieder steigt und fällt. Nach sieben Gehstunden erreichten wir endlich die Hugo-Gerbers-Hütte (2374 m). Für diesen Tag reichte es uns.

 

Auch dieses Hüttchen verdient eine besondere Würdigung. Außer uns übernachteten noch neun Personen, es gibt kein fließendes Wasser, sondern man muss sich an einem 100 m entfernten Bach waschen. Aber der Hüttenwirt zaubert ein einzigartiges Frühstücksmüsli hin. Überhaupt, dieser Wirt! Ein Original, eine Art Aussteiger, der sich in den Sommermonaten in die Abgeschiedenheit zurückzieht. Viel Geld ist in der Hugo-Gerbers-Hütte wahrlich nicht zu verdienen, und es überrascht nicht, dass sie bis vor wenigen Jahren Selbstversorgernütte war, sicher auch, weil sich kein Pächter fand. (Ein ähnliches Schicksal widerfuhr vor einigen Jahren, wenngleich nur einen Sommer lang, der Adolf-Noßberger-Hütte in der Schobergruppe – und da sage einer, in den österreichischen Alpen gebe es keine Einsamkeit!)

 

Der dritte Tag sollte unser letzter in der Kreuzeckgruppe werden. Leider – denn das Wetter schlug um. Schon am Morgen war der Hauptkamm, über den der Kreuzeck-Höhenweg zur Feldner Hütte führt, wolkenverhangen, was Orientierungsprobleme versprach. Zudem weist die Überschreitung des Hochkreuz (2709 m) einige ausgesetztere Stellen auf, im obligatorischen Schuttgelände, versteht sich. Schade – denn ab Feldner Hütte hätte man die Wahl zwischen gleich zwei weiter führenden Höhenwegen, dem eigentlichen Kreuzeck-Höhenweg, der über den höchsten Gipfel der Gruppe, den 2784 m hohen Polinik (Polinik ist slawisch und bedeutet „Mittagskofel“, es gibt auch einen Polinik in den Karnischen Alpen bei Kötschach-Mauthen), zur Polinikhütte und hinab ins Mölltal führt – eine gewaltige Höhenunterschiede überwindende, 10-12 Stunden erfordernde Route, die uns sicher eine Nummer zu groß gewesen wäre, und dem Heinrich-Hecht-Weg zur Salzkofelhütte, den wir ursprünglich gehen wollten, um nach nochmaliger Übernachtung den exponiert stehenden, mit fabelhafter Aussicht über das Gebiet des Millstätter Sees aufwartenden Salzkofel zu besteigen und danach den langen Abstieg nach Sachsenburg-Möllbrücke in Angriff zu nehmen. Ja, wenn das Wetter mitgespielt hätte!

 

Aber immerhin bescherte uns unser „Notabstieg“ noch einen tollen Gipfel, den Gäste der Hugo-Gerbers-Hütte eigentlich nicht auslassen sollten, wenngleich man dann zweimal in dem doch etwas einfachen Hüttchen nächtigen müsste: den Scharnik. Der ist unbedingt einen zusätzlichen Tag wert. Um dorthin zu gelangen, hatten wir zunächst eine längere Höhenwanderung in absoluter Einsamkeit zu absolvieren, einen wirklich herrlichen Weg mit ständiger Sicht auf das gewaltige Massiv von Kellerwand und Hoher Warte, den höchsten Erhebungen der Karnischen Alpen, weit im Süden. Zuletzt wartete noch ein blockiger Aufstieg auf uns, dann konnten wir direkt unter dem Gipfelkreuz des Scharnik, immerhin 2658 m hoch, auf einer Bank Platz nehmen. Wer sich dort ausruht, sollte allerdings schon etwas schwindelfrei sein: Buchstäblich zu Füßen des Sitzenden bricht die brüchige, haltlose Steilflanke ab, tief hinunter. Das Drautal liegt volle 2000 m unterhalb des Gipfels! Von der viel gelobten Fernsicht auf Karnische und Julische Alpen bekamen wir leider nicht mehr viel mit; die Wolken wurden immer dichter und zahlreicher und es war deutlich, dass unser Entschluss, die Durchquerung der Kreuzeckgruppe abzubrechen, richtig gewesen war.

 

Über den elend langen Abstieg nach Irschen im Drautal würde ich dagegen am liebsten den Mantel des Vergessens breiten. Mindestens zwei Drittel verlaufen auf einem nicht enden wollenden Schottersträßchen. Zum Glück holte uns gleich zu Beginn dieses Hatschers ein PKW von Almnutzern ein, wir hoben den Daumen und wurden mitgenommen. Andernfalls müsste man vom Scharnik nach Irschen gut und gerne vier Stunden rechnen, ohne Einkehrmöglichkeit unterwegs, versteht sich. Die Kreuzeckgruppe ist eben nicht mit anderen Alpengruppen zu vergleichen. Aber wenn das kein Grund ist, ihr die Aufwartung zu machen!

 

Erschienen in "Mitteilungsblatt" Zeitschrift des Vereins

Netzwerk Weitwandern e.V. Ausgabe 13 - April 2004

 

 

Tirol den Tirolern? – Nein!

Unterwegs im Geigenkamm – trotzdem!

 

von Thomas Striebig

 

Der gebürtige Tiroler, den es in meinen Wohnort verschlagen hatte, hatte volles Verständnis für meine Schimpfkanonaden. Ein langjähriger Freund von ihm habe nach zwanzig Jahren umgesattelt – er arbeite nicht mehr als Kellner, sondern als KFZ-Mechaniker. Warum? Es mache einfach keinen Spaß mehr im vorderen Ötztal: Wo früher zwei Kellner gearbeitet hätten, sei jetzt nur noch einer tätig, ohne dadurch mehr zu verdienen; im Gegenteil! Aufgrund des schlechter gewordenen Service und der teilweise erbärmlichen Kreationen der Küche (hier nickte ich nun wieder verständnisvoll, ich bin im Elsass wahrlich anderes gewöhnt, obwohl auch dort nicht alles Gold ist, was glänzt) – aufgrund dieser Umstände also bekomme er die Unzufriedenheit der Gäste zu spüren, was sich in den Trinkgeldern bemerkbar mache.

 

Irgendwie symptomatisch, das Ganze. Jedenfalls deckte es sich mit meinen Erfahrungen im Raum Imst und im Ötz- und Pitztal. Im Gegenzug hierzu haben die Preise in den Restaurants stolze Höhen erreicht. Pater Heinz Schulte hat einmal empfohlen, darauf zu achten, was für ein Wienerschnitzel mit Beilagen verlangt werde; dies sei ein guter Maßstab. Kaum einmal bekomme man es für weniger als zehn Euro, berichtete er, freilich vom Montafon in Vorarlberg, wo es preislich auch nicht anders aussieht. Und fuhr fort: „Die Wirte sägen doch den Ast ab, auf dem sie sitzen!“ Die größten Touristenscharen habe er in Supermärkten entdeckt…

 

„Tirol den Tirolern!“ liest man auf dem Gipfelkreuz des Breiten Grieskogels in den Stubaier Alpen. Auch wenn man zu den wenigen gehört, die die eigentliche Intention dieser Worte versteht (sie enthalten die Forderung nach einem geeinten Gesamt-Tirol, das seine politische Zugehörigkeit selbst bestimmen kann, Südtirol also eingeschlossen) – man fühlt sich an „Deutschland den Deutschen“ erinnert und ist verstimmt. Zumal das Auftreten von immer mehr Einheimischen auch nicht mehr so ist, wie man es vor zwei oder drei Jahrzehnten in Erinnerung hat. „Tirol den Tirolern“? Dem Wunsch kann entsprochen werden! Man fährt doch nicht in Urlaub, um danach Schimpfkanonaden abzulassen! „Reisende, meidet Bayern!“ schrieb Kurt Tucholsky zu Beginn der Zwanziger – wäre es so langsam an der Zeit für einen Aufruf „Reisende, meidet Nordtirol“?

 

Nein – denn Nordtirol hat auch heute noch viel zu bieten. Etwa den Geigenkamm, also den langen Urgesteinskamm, der Ötztal und Pitztal trennt. Unten Massenbetrieb – oben Einsamkeit. Freilich muss man den teilweise enormen Anforderungen der Höhenwege, die den gesamten Kamm vom Inntal bis zum Pitztaler Jöchl bzw. zum Rettenbachferner oberhalb von Sölden durchziehen, gewachsen sein. Die sind zu Beginn gar nicht einmal so groß, steigern sich aber kontinuierlich, je weiter man nach Süden vordringt.

 

Vor kurzem wurde die Tour im „Bergsteiger“ vorgestellt; freilich machte der Autor des ansonsten sehr guten Artikels in meinen Augen zwei Fehler. Erstens startete er im Skigebiet am Hochzeiger über Jerzens im Pitztal, zweitens nahm er sich zu große Etappen vor, die über die Kräfte des Normalsterblichen gehen dürften. Aber es geht auch anders.

 

Als Ausgangspunkt empfehle ich nicht die Hochzeigerbahn über Jerzens, sondern den Piburger See bei Ötz, dem wärmsten Badesee Nordtirols, dessen Wassertemperaturen oft an Kärnten erinnern. Dort erlebt man wieder die ganze neu-tirolerische Liebenswürdigkeit. Man hat sein Auto noch nicht richtig abgestellt, da erscheint schon, freundlich lächelnd, ein Kind, um die gesalzene Parkgebühr zu kassieren, die man bei einer Einkehr im gleich daneben liegenden Gasthaus teilweise erstattet bekommt – wie großzügig! Am besten lässt man sein Auto, sofern man nicht mit dem Zug anreist, unten in Oetz. Das Strandbad – ohne auch nur einen Quadratmeter Liegewiese, nur mit einer Holzterrasse, auf der die Gäste wie Ölsardinen liegen – ist von wahrhaft realsozialistischem Charme, die Eintrittspreise sind dafür umso stolzer. Am übrigen Seeufer belfern einen mehrere Schilder an, dass das Lagern am und Schwimmen im See verboten sei. Ob uniformierte Hilfssheriffs, mit neunschwänzigen Katzen bewaffnet, auf die Einhaltung dieses Verbots achten, entzieht sich leider meiner Kenntnis.

 

Dafür ist aber der Aufstieg zur privaten Armelenhütte eine wunderschöne Eingehtour. Zunächst durch einen wahren Märchenwald im Bergsturzgebiet, dann recht steil, aber mit fabelhaften Ausblicken auf das Talbecken von Umhausen geht es in gut drei Stunden gemütlich zur Hütte, wo man sehr angenehm übernachten kann. Zudem hält sich der Andrang in Grenzen; wer im vorderen Geigenkamm Touren unternehmen will, lässt sich von Umhausen mit dem Kleinbustaxi zur Leierstalalm chauffieren oder steigt, wie eingangs erwähnt, von Jerzens auf. Dabei liegt die Hütte wirklich zauberhaft, und die Ausblicke auf Acherkogel, Breiten Grieskogel, aber auch Mieminger Berge und Zugspitzmassiv lohnen diesen noch nicht sehr alpinen Umweg unbedingt.

 

Nicht viel anspruchsvoller wird die zweite Etappe mit dem Ziel Erlanger Hütte. Die Wirtin der Armelenhütte hatte uns geraten, nicht über die Gehsteigalm und den Weitwanderweg 02A, sondern durch das Tumpental zu gehen. Eine Prachttour bei Prachtwetter in großer Einsamkeit! Zuerst Almen mit Kühen, dann ein Hangpfad, vorbei an imposanten Zirben, schließlich durch immer kargere Vegetation bis ans Ende des Tumpentals, wo man auf den Forchheimer Weg stößt.

 

Das wäre der nördlichste Abschnitt des großen Geigenkamm-Höhenwegs, von der Erlanger Hütte ins Inntal – eine Riesenetappe, die in Nord-Süd-Richtung über menschliche Kraft geht (weit über 2000 Höhenmeter Aufstieg!), es sei denn, man übernachtet unterwegs in einer Biwakhütte. Wo es freilich kein Wasser gibt, das müsste man mitschleppen.

 

Wir hatten es da bequemer: kurzer Aufstieg zu einer kleinen Scharte der Kreuzjochspitzen mit grandiosem Blick auf die nördlichen Stubaier, danach Höhenweg zur Erlanger Hütte (2550 m), in einer – um es klischeehaft auszudrücken – ernsten, zumal bei fehlender Sonne schwermütigen oder gar düsteren Landschaft gelegen, aber eine der angenehmsten und am besten bewirtschafteten AV-Hütten, die ich kenne. Den Lammbraten muss man einfach gekostet haben!

 

Der schmeckt mindestens doppelt so gut, wenn man – sofern die Verhältnisse mitspielen – am Nachmittag noch den Hüttenberg bestiegen hat, den fast 3000 m hohen Wildgrat, der wegen seiner exponierten, weit nach Norden vorgeschobenen Lage ein unvergleichliches 360°-Panorama bietet, allerdings auch unbedingte Trittsicherheit in der schrofigen, leichte Kletterei erfordernden Gipfelzone voraussetzt. Wer es gemütlicher mag, sollte wenigstens in fünf Minuten zum wunderschönen Wettersee bummeln.

 

Der nächste Tag wartet zunächst mit einer hochalpinen Genusstour auf, allerdings auch mit einer ersten kleinen Schlüsselstelle: Kaum eine Viertelstunde nach Verlassen der Hütte hat man bis weit in den Hochsommer ein steiles Schneefeld zu queren, nordseitig und somit morgens häufig vereist; wer hier ausrutscht, landet unweigerlich im Wettersee. Vielleicht braucht man hier erstmals seine Steigeisen, die man bei größeren Unternehmungen im Geigenkamm ohnehin nicht vergessen sollte. Aber in der Scharte wenige Minuten oberhalb öffnet sich ein traumhafter Blick auf die noch ferne Wildspitze. Später geht es in leichtem Auf und Ab auf einer Art Hochterrasse: magere Bergwiesen, ein winziger Bergsee, an dem man einfach rasten muss, gegenüber Stubaier Gletscherberge. Zuletzt kurzer Aufstieg zum Lehnerjoch (2510 m), von wo man erstmals den in den österreichischen Zentralalpen wohl einzigartigen Kaunergrat bewundern kann. Vom Lehnerjoch kann man über die Ludwigsburger Hütte (früher Lehnerjochhütte) in den Weiler Zaunhof im mittleren Pitztal absteigen und dort die Tour beenden – eine Tour, die, abgesehen vom Abstecher zum Wildgrat und dem kurzen Wegstück oberhalb des Wettersees, für halbwegs bergerfahrene Wanderer einfach ist.

 

Wer größer Ambitionen hegt (ich kenne die Fortsetzung der Tour nicht), steigt dagegen nicht zum Lehnerjoch, sondern biegt schon vorher zur Feilerscharte ab, wo man den Abstecher auf den ersten markanten Dreitausender des Geigenkamms, den Fundusfeiler (3079 m), möglichst nicht auslassen sollte. Jenseits geht’s hinunter zur Frischmannhütte (2192 m) – alles schon wesentlich anspruchsvoller: Man dringt immerhin bereits in die Dreitausenderregion vor, wo man größere Schneefelder und auch das eine oder andere ausgesetzte Wegstück einkalkulieren muss. Ähnlich verhält es sich mit dem Weiterweg zum Selbstversorgerhüttchen am Hauersee (2331 m). Dass hier keine bewirtschaftete AV-Hütte entstanden ist, hat seine Ursache in einem für den Laien ebenso undurchschaubaren wie uninteressanten juristischen Hickhack. Dieser Übergang ist womöglich noch eine Spur anspruchsvoller als der über die Feilerscharte, dafür jedoch kürzer. Der „Normalsterbliche“ wird es hier gut sein lassen und, evtl. mit einer zusätzlichen Übernachtung in der Stabele-Alm, nach Längenfeld absteigen. Denn der Weiterweg ab Hauersee ist noch einmal eine Nummer größer, erfordert große alpine Erfahrung, eine erstklassige Ausrüstung (unbedingt Steigeisen!), sehr gute Trittsicherheit und eine wirklich überdurchschnittliche Kondition für das sieben- bis achtstündige permanente Bergauf-Bergab, zumeist über zentralalpine Schutthalden. Wer hier ohne Handy (bzw. ohne Empfang!) unterwegs ist, kann im Notfall in diesem einsamen Gebiet kaum auf fremde Hilfe hoffen! Nicht zuletzt kommt man in diesem Fall nicht um eine Übernachtung in der Hauerseehütte herum (es sei denn, man tut sich, wie der „Bergsteiger“-Autor Mark Zahel, die Strecke Frischmannhütte – Rüsselsheimer Hütte als Tagestour an) und muss den Proviant hierfür womöglich tagelang mitschleppen – das alles sollte bedacht werden.

 

Dem stehen jedoch landschaftliche Eindrücke gegenüber, die angeblich – ich selbst kenne die Wege südlich des Lehnerjochs, wie gesagt, nicht – überhaupt nicht mit Worten zu beschreiben sind. Zunächst Aufstieg über den am frühen Morgen in der Regel vereisten Hauerferner zur Luibisscharte, wo man der Versuchung, den nahen Luibiskogel (3112 m) mitzunehmen, schwerlich widerstehen kann. Dann, stets vis-à-vis des unvergleichlichen Kaunergrats, über mehrere Scharten nach Süden, bis man beim kleinen Wiesensattel des Gahwinden wieder auf die Zivilisation trifft, und zwar in Form einer sicher hochwillkommenen Bank und einiger Besucher, die von der Rüsselsheimer Hütte (bis 1999 Neue Chemnitzer Hütte) zu diesem wunderschönen Aussichtspunkt aufsteigen. Der Abstieg zu dieser Hütte erfordert im oberen Teil noch einmal etwas Konzentration, die dem sicher stark ermüdeten Weitwanderer nicht mehr ganz einfach fallen dürfte.

 

Auch die Rüsselsheimer Hütte (2325 m) verdient Superlative. Erstens wegen des ungehinderten Blicks zum Kaunergrat, dessen höchster Gipfel, die über 3500 m hohe Watzespitze mit ihren düsteren, steilen Felsflanken und ihrem wilden Hängegletscher, gerade von hier aus seine ganze Wucht ausspielt, zweitens wegen der zahlreichen Steinböcke, die sich im weitläufigen Kar südlich der Hohen Geige offenbar sehr wohl fühlen und entsprechend vermehren. Diese riesigen Tiere kommen abends gerne in die Nähe der Hütte herunter und lassen sich ungehindert beobachten. Wer sie noch von einer anderen Seite kennen lernen möchte, kann das angebotene Steinbock-Gulasch kosten. „Schmeckt eben nach Wild“, meinte der Hüttenwirt.

 

Wer auf der Rüsselsheimer Hütte übernachtet, möchte natürlich die Hohe Geige besteigen, den höchsten Gipfel des Geigenkamms, stolze 3393 m hoch. Aber Vorsicht, der Berg wird häufig unterschätzt! Mir persönlich scheint es, dass zuweilen ein Führerautor vom anderen abschreibt, ohne die Tour selbst gegangen zu sein; die Beschreibung wird in entscheidenden Punkten offenbar betont vage gehalten, denn wer sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnt, wird auch nicht so leicht eines Fehlers überführt. Wer freilich auf dem Geigenkamm-Höhenweg bis zur Neuen Chemnitzer Hütte (oder auch nur zum Hauersee) gekommen ist, darf sich den Gipfel mit seiner einzigartigen Aussicht ruhig zutrauen.

 

 

 

 

Die letzte Etappe, der so genannte Mainzer Höhenweg, hat nun wirklich nichts mehr mit Wandern zu tun, sondern ist eine ziemlich anspruchsvolle und vor allem äußerst anstrengende hochalpine Unternehmung. Drei kleine, stark zurück gegangene und daher schwieriger als früher zu begehende Gletscher müssen überquert, mehrere Kletterstellen im Schwierigkeitsgrad I und II gemeistert werden. Die zweite Hälfte dieses „Höhenweges“ führt dann über mehrere Dreitausender (höchster Punkt: Wassertalkogel, 3241 m, mit Biwakschachtel!), von denen man ständig die immer näher rückende Wildspitze bewundern kann, dazu Kaunergrat, Stubaier usw. usw. – und auch das Sommerskigebiet am Rettenbachferner, zu dem zuletzt abgestiegen wird (bitte vergewissern Sie sich, ob Sie noch einen Bus nach Sölden erreichen, andernfalls müssten Sie noch über das Pitztaler Jöchl zur Braunschweiger Hütte gehen und dort übernachten!).

 

Die Zivilisation hat uns wieder, Nordtiroler Geschäftstüchtigkeit lässt grüßen, die zauberhaften Tage im einsamen Geigenkamm sind Vergangenheit, auf dass es uns nicht zu wohl werde. Aber es waren Tage, die uns niemand mehr wegnehmen kann.

 

Fotos: Thomas Striebig

 

Erschienen in "Wege und Ziele" Zeitschrift des Vereins

Netzwerk Weitwandern e.V. Ausgabe 17 - August 2005

 

 

Die Lechquellenrunde

 

Eine einwöchige Rundtour uf der Alpennordseite im Juli 2012

 

Von Friedhelm Arning

 

Ob’s in diesem Jahr wieder mit einer ausgedehnteren Hochgebirgswanderung zusammen mit meinem Sohn klappen würde? Er war nämlich vor kurzem Vater geworden und hatte mich zum stolzen Opa gemacht. Schließlich kam der Rat der jungen Familie zu dem Ergebnis: Ja, eine Woche könnten Mutter und Kind gut auf den Mann im Haus verzichten, damit er mal ausschlafen kann, um sich dann anschließend wieder umso tatkräftiger der nächtlichen Versorgung des Nachwuchses widmen zu können.

 

Damit war mir folgende Aufgabe gestellt:

 

                            • Eine Route zu finden, die in einer Woche zu bewältigen ist;

                            • von Bremen aus gut und rasch mit dem Auto erreichbar ist;

                            • eine Rundwanderung ermöglicht (siehe Auto);

                            • für uns noch unbekanntes Terrain darstellt und

                            • landschaftlich reizvoll ist.

 

Nach diversen Recherchen stieß ich dann auf einen Flyer des Deutschen Alpenvereins, der unter der Rubrik „Von Hütte zu Hütte“ dem Weitwanderfreund die Lechquellenrunde schmackhaft macht. Nachdem ich noch einige detailliertere Informationen eingeholt hatte, war klar: das ist eine Route, die all‘ unsere Anforderungen maßgeschneidert erfüllt. Nachdem auch ein weiterer Mitwanderer sein o.K. zu diesem Vorschlag gegeben hatte, wurde festgelegt, dass die Lechquellen vom 19. bis 25. Juli umrundet werden sollten.

 

Ein paar Anmerkungen zum Wandergebiet.

 

Das Lechquellengebirge ist ein Teil der nördlichen Kalkalpen und liegt zwischen dem Rätikon im Westen und den Lechtaler Alpen im Osten. Es umfasst die Lechquellen etwa in Form eines Hufeisens. Die Wanderung verläuft fast immer oberhalb der Waldgrenze – der höchste Punkt ist das Madlojoch mit 2473 m -, häufig im Gebiet der Hochweiden, die sich hier durch einen besonderen Artenreichtum an Blumen und Rasengesellschaften auszeichnen. Auch geologisch ist das Gebiet ausgesprochen interessant, wobei für den Laien unter anderem die abflusslosen Seen (Formarinsee) und extreme Karsterscheinungen wie das Steinerne Meer besonders beeindruckend sind.

 

Gute Standorte, um das Auto abzustellen und die Wanderung zu starten sind Lech am Arlberg, Warth, Hochkrumbach oder Schröcken, weil die Wanderung in der Nähe von Schröcken beginnt und in Lech endet und die o.a. Orte durch eine häufig verkehrende Buslinie gut miteinander verbunden sind. Wenn man etwas mehr Zeit hat, kann man auch noch vier schöne Etappen durch den Bregenzerwald von Bezau über Mellau, Freschen-Haus und Faschina direkt zur Biberacher Hütte vorschalten oder, wenn man die Lechquellenrunde in umgekehrter Richtung macht, hinten dranhängen.

 

Eine kurze, aber ausreichende Beschreibung des Wanderweges, der im übrigen durch ein eigenes Logo gut markiert ist, habe ich in dem bereits erwähnten Flyer des Deutschen Alpenvereins vom Januar 2010 gefunden. Es gibt noch einen Führer aus dem Conrad-Stein-Verlag aus dem Jahr 2007 von Hans Hönl: „Österreich: Bregenzerwald-Lechquellengebirge-Rundweg“, der aber wenig empfehlenswert ist, da er für die Lechquellenrunde nicht mehr Informationen bietet als der kostenlose Alpenvereinsflyer.

 

Da es diverse lohnende Varianten des Weges gibt, auch in Abhängigkeit von der Wetterlage, empfiehlt es sich, eine geeignete Karte des Wandergebietes dabei zu haben. Wir sind gut mit der Kompass-Karte Nr. 32 „Bludenz, Schruns, Klostertal“ zurecht gekommen.

 

Zu den einzelnen Etappen

 

Anreise

 

Die Anreise verläuft problemlos. Nach neun Stunden haben wir von Bremen aus unsere erste Unterkunft am Hochtannbergpass erreicht (deutlich preiswerter als die Angebote direkt in Lech). Die Wetterlage ist allerdings ziemlich deprimierend: Dauerregen und Sicht = zwo Komma gar nichts. Das kann nur besser werden.

 

1. Etappe: Bushaltestelle Landsteg – Biberacher Hütte (1846 m)

 

Vom Hochtannbergpass erreichen wir bequem mit dem Bus den Startpunkt unserer Tour, die Bushaltestelle Landsteg kurz vor Schröcken. Der Regen hat im Laufe der Nacht aufgehört, die Sicht ist aber immer noch bescheiden. Immerhin zeigt sich bei der Abfahrt der Widderstein kurz auch einmal in seiner ganzen Pracht. Vom Startpunkt stehen uns nun 800 m Aufstieg zum Schadonapass bevor. Zunächst geht es steiler hinauf, dann - oberhalb der Baumgrenze - führt der Weg eben durch Almwiesen und Hochmoore zum Pass. Hier zieht es schon wieder ungeheuer schnell zu. Es reicht gerade noch für einen Blick nebst Foto auf den Giggelturm. Die Biberacher Hütte, die wir einige Minuten später erreichen, ist nur noch schemenhaft im Nebel auszumachen. Aber der Empfangsfrosch vor der Hütte fühlt sich bei diesem Wetter sicherlich sehr wohl. Kaum haben wir es uns in der Hütte – rappelvoll und fest in schwäbischer Hand – gemütlich gemacht und die ersten hier sehr empfehlenswerten Kuchenstücke vor der Gabel, setzt auch schon wieder so richtiger Dauerregen ein, aber das muss uns heute nicht mehr kümmern.

 

Zitat des Tages: „Dusche gibt’s gratis, aber kalt.“

 

2. Etappe: Biberacher Hütte – Göppinger Hütte (2245 m)

 

Der morgendliche Blick aus dem Fenster verheißt nichts Gutes. Alles dick in Watte verpackt. Nach dem Abmarsch setzt dann auch pünktlich wieder der große Regen ein, der uns heute den gesamten Tag über ein treuer Begleiter sein wird. So kann die Lechquellenrunde auch zur „Lechqälenrunde“ werden. Zunächst geht’s abwärts zur Alpe „Untere Alpschelle“ auf einem Pfad, der bei jedem Schritt die Nässe so nach und nach von oben in die Schuhe schaufelt – Gamaschen hätt‘ man dabei haben sollen. Am Metzgertobel haben wir dann den Tiefpunkt – im tatsächlichen und übertragenen Sinne – der heutigen Etappe erreicht. Von nun an geht’s  nur noch aufwärts. Über die Obere Alpschelle, dann durch Fels und Schneefelder erreichen wir den Gamsboden. Dass es sich hier um eine wunderschöne hochalpine Karstlandschaft handelt, lässt sich allenfalls an einigen Indizien, die in der nächsten Umgebung erkennbar sind, erahnen. Aber wir wollen jetzt eigentlich auch nur noch unser Etappenziel erreichen. Nachdem wir noch diverse kleine Grate überschritten haben, taucht endlich die Göppinger Hütte vor uns auf – nie wurde eine Hütte mehr ersehnt. Hier wird alles gut. Die Hütte ist Spitzenklasse und die Küche sollte mal den Guide Michelin interessieren – ein Stern ist mindesten drin.

 

Zitat des Tages: „Wo bleibt denn bloß die verdammte Hütte?“

 

3.Etappe: Göppinger Hütte – Freiburger Hütte (1918 m)

 

Gut, dass im Trockenraum anständig eingeheizt worden war. So ist unser Regenzeug wieder fit und es wird auch noch dringend gebraucht für den Abstieg über die Schlechtwetter-Variante ins Lechtal. Dann gibt auch noch meine Regenhülle für den Rucksack ihren Geist auf und muss irgendwie festgefriemelt werden, um wenigsten noch einen notdürftigen Schutz abzugeben Und dann passiert’s: Kurz bevor wir unten den Gasthof „Unteres Älple“ erreichen hört es auf zu regnen Das muss gefeiert werden. Also nichts wie rein in die gastliche Stube, Speck- und Käsebrot sowie Hefeweizen geordert und - gemütlich im Trocken sitzend - noch ein paar Schauer vorüberziehen lassen. Als sich dann sogar noch einige Zipfel blauen Himmels sehen lassen, brechen wir wieder auf und wandern das wunderschöne Formarintal hinauf, das man aber auch als ein sehr lang gestreckte Kuhweide bezeichnen könnte.

 

Der Formarinbach ist einer der Quellflüsse des Lech und selbst jetzt im Hochsommer immer wieder noch von bizarren Schneegebilden überwölbt. Die Sonne setzt sich immer mehr durch und schließlich erreichen wir in strahlendem Sonnenschein den Formarinsee, einen abflusslosen Karstsee. In den Felsen rings um den See ist vor einiger Zeit ein erfolgreiches Projekt zur Wiederansiedlung von Steinböcken durchgeführt worden. Nun müssen wir noch, den See unterhalb der Rotwand umrundend, die letzten Höhenmeter zur Freiburger Hütte aufsteigen. Nach einer warmen!!! Dusche duftet der Zweigelt im Glas, während sich draußen eine kalte und sternenklare Nach herabsenkt, die für den morgigen Tag beste Wetterbedingungen verheißt.

 

Zitat des Tages, eingedenk der lang gestreckten Kuhweide: „Fladen (p)flastern seinen Weg.“

 

4. Etappe: Freiburger Hütte – Ravensburger Hütte (1948 m)

 

Die Wetterverheißungen des gestrigen Tages erfüllen sich hundertprozentig. Strahlender Sonnenschein bei 4° Celsius und ein fantastisches Panorama lassen uns frohen Mutes das Regenzeug im Rucksack verstauen und beschwingt losmarschieren. Da auf der Normalroute der Abstieg vom Gehrengrat aufgrund der Regenfälle der letzten Tage noch zu heikel erscheint, wir aber unbedingt das Steinerne Meer durchqueren wollen, beschließen wir, zunächst auf einer Rundwanderung zur Formarinalpe zu laufen. Von dort soll es dann mit dem Bus wieder ein Stück das Formarintal bis zum Gasthof „Unteres Älple“ hinuntergehen und von dort dann per Pedes durch das Spullertal und am Spuller See vorbei zur Ravensburger Hütte.

 

 

Die Planung bewährt sich gleich in mehrfacher Hinsicht:

 

          • Das Steinerne Meer ist wirklich ein beein-

            druckendes und die Phantasie anregendes

            Karstphänomen. Seine Durchquerung erfordert

            allerdings höchste Konzentration, will man sich an

            den scharfkantigen Gesteinsformationen nicht

            verletzen oder unversehens in einer Spalte

            hängenbleiben und stürzen. Aber alles geht gut

            und so bleibt ein nachhaltiger Eindruck zurück.

 

          • Beim „Unteren Älple“ lässt sich, diesmal auf der

            Sonnenterasse, wieder eine köstliche Brotzeit

            einschieben.

 

          • Der Weg durch das Spullertal ist landschaftlich

            sehr reizvoll.

 

 

Am Ende des Spullertals gönnt sich die Österreichische Bundesbahn einen eigenen Stausee, um ihr Schienennetz mit dem nötigen Strom zu versorgen. Vom See geht es dann noch einmal steil hinauf zur sehr schön gelegenen Ravensburger Hütte. Da wir heute das schöne Wetter eher zum „Rumdaddeln“ genutzt haben, reicht es gerade noch für eine, wenn auch wieder mal kalte Dusche, bevor das Abendessen aufgetischt wird.

 

Zitat des Tages: „Das kurze Stück könnt ihr auch gehen, sonst ist es zu teuer.“ (Busfahrer bei der Formarinalpe)

 

5. Etappe: Ravensburger Hütte – Stuttgarter Hütte (2310 m)

 

Die heutige Etappe hat es mit 1084 Höhenmetern im Aufstieg und 721 Hm im Abstieg in sich, zumal schon am Morgen das Thermometer nicht unerhebliche Wärmegrade anzeigt. Aber heute dürfte das kein großes Problem sein, da ja auf halbem Wege der gastliche Fremdenverkehrsort Zürs mit Speis und Trank wartet und notfalls kann man ja auch laut Alpenvereinsflyer vom Zürser See mit der Seekopfbahn zu Tal schweben.

 

Zunächst geht’s erst mal über Grashänge immer steil bergauf. Der Schweiß fließt in Strömen. Unterhalb eines weiteren kurzen aber knackigen Anstiegs zum Madlojoch werden die letzten Müsliriegel vertilgt und die verbliebenen Wasservorräte geschluckt, aber, no problem, spätestens in Zürs gibt’s ja Nachschub genug. Der Aufstieg zum Joch ist hier nicht ganz klar. Zwei Wanderinnen, auf die wir treffen, meinen, der Weg müsste über einen Grat direkt dorthin führen, während wir eher vermuten, dass man zunächst unterhalb des Grates einen Bogen laufen muss, um dann in der Direttissima zum Joch aufzusteigen. Wie sich später herausstellt, hatten wir Recht. Am Madlojoch erreichen wir mit 2437 m den höchsten Punkt der Lechquellenrunde mit einer wunderschönen Rundumsicht zum Arlberg, Bregenzerwald, Verwall und zur Silvretta.

 

Von hier steigen wir zunächst gemütlich zum Zürser See ab, den eine vom Wintersport verödete Landschaft umgibt. Alles ist dicht und eine Seekopfbahn, mit der wir doch komode nach Zürs hinunter schweben wollten, ist natürlich auch nicht in Betrieb. Das heißt, wir müssen mit ausgedörrter, am Gaumen klebender Zunge noch mal 500 m ziemlich steil ins Tal absteigen.

 

In Zürs angekommen trifft uns dann fast der Schlag: Zürs ist von April bis Anfang Dezember komplett geschlossen. An allen Gasthöfen, Hotels, Geschäften, Cafés. Kiosken und Dönerbuden hängt der „freundliche“ Hinweis: Wir haben im Dezember wieder für Sie geöffnet. Das einzige, was sich in Zürs bewegt, sind Unmengen von Baumaschinen, die alles wieder für die Skisaison herrichten. Es gibt also für uns auch nichts zum Essen und Trinken zu kaufen. Aber bei der Hitze ohne Wasser wieder gut 500 m hinauf zur Stuttgarter Hütte geht auch nicht. Wir durchstreifen den Ort nach wenigstens einer Wasserstelle, aber nichts. Was bleibt als letzte Hoffnung? Die Kirche! Und tatsächlich, neben der Kirche sprudelt aus einem Brunnen frisches klares Wasser. Köstlich, und der Weiterweg ist gesichert.

 

Zunächst geht es auf Asphalt in steilen Kehren bis zur Talstation der Materialseilbahn für die Stuttgarter Hütte. Dort wird gerade Bier abgeladen, was wir mit Wohlwollen zur Kenntnis nehmen und uns noch einmal zusätzlichen Schwung verleiht. Der ist auch nötig, denn es geht noch einmal sehr steil hinauf und in der Ferne ziehen schon die ersten Gewitterwolken auf. Aber wir erreichen die Hütte noch rechtzeitig, die, frisch renoviert, sehr komfortabel ist. Bei einem guten Abendessen stört es uns auch nicht weiter, dass mittlerweile wieder der Regen eingesetzt hat.

 

Zitat des Tages: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht vor unserem Bier auf der Hütte ankommen.“

 

 

 

 

6. Etappe: Stuttgarter Hütte – Lech am Arlberg (1444 m)

 

Für die letzte Etappe gibt es zwei Varianten: Entweder zur Rüfikopfbahn wandern und mit dieser nach Lech hinunter gondeln oder über den Bockbachsattel komplett nach Lech absteigen. Nachdem schon frühmorgens ein heftiges Gewitter niedergegangen ist, nimmt uns der erste Blick aus dem Fenster die Entscheidung über die Variante schon ab.

Draußen tobt immer noch das Unwetter, auch wenn sich Blitz und Donner verzogen haben, nicht ohne einen Regenbogen und Hagelzucker hinterlassen zu haben. Da wir unter diesen Umständen, natürlich notgedrungen, die Bahn benutzen werden, können wir uns Zeit lassen und erst mal die Wetterentwicklung abwarten. Im Laufe des Vormittags lässt dann der Regen soweit nach, dass wir uns auf den Weg machen können. Und hier, durch tief hängendes Gewölk stapfend, schließt sich der Kreis: Wie am Anreisetag beträgt die Sicht = zwo Komma gar nichts. Vor dem letzten Anstieg werden stehenderweise noch die Restvorräte aus dem Rucksack vertilgt und dann geht es auf äußerst rutschigem Weg steil hinauf zum Rüfikopf.

 

Hier sollte sich eigentlich die Bergstation der Rüfikopfbahn befinden, aber außer einem Schottersträßchen deutet nichts darauf hin, dass hier eine größere technische Einrichtung existieren könnte. Erst als wir uns fast den Kopf an der Mauer des Stationsgebäudes stoßen, ist klar, dass wir das Ziel erreicht haben.

 

Wir sind froh, dass wir jetzt mit der Bahn hinunter fahren können, denn ein weiteres Gewitter kündigt sich schon an. Unten in Lech angekommen bricht es auch schon los und wir erreichen geraden noch das nächste Restaurant, wo wir uns unser Mittagessen schmecken lassen. Mit dem Bus geht’s dann problemlos zum Hochtannbergpass, wo uns unser Auto für die Rückreise in einen wunderschönen milden Sommerabend hinein erwartet.

 

Bei köstlichen Bieren im Garten eines bayrischen Brauereigasthofes lassen wir noch einmal die Lechquellenrunde Revue passieren und sind, trotz einiger Wetterunbilden, einhellig der Meinung: eine lohnende

                                                                                        Tour, die wir gerne anderen zur Nachahmung empfehlen.

 

Erschienen in "Wege und Ziele" Zeitschrift des Vereins

Netzwerk Weitwandern e.V. Ausgabe 40 - April 2013

 

 

 

 

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