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Zuletzt aktualisiert am: 23.02.16
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W a n d e r b e r i c h t e - U n g a r n
Inhaltsverzeichnis: • Ein blaues Band durch die Puszta Europäische Fernwanderwege in Ungarn Von Lutz Heidemann
• Der Norden Ungarns - eine wenig bekannte Region Europas Von Sátoraljaújhely (Grenze zur Slowakei bis Putnok Im Mai 2009 unterwegs auf dem Europäischen Fernwanderweg E4 (Kék-tura)/EB Von Wolfgang Meluhn
Ein blaues Band durch die Puszta Europäische Fernwanderwege in Ungarn
Von Lutz Heidemann
In Ungarn kann für Besucher die fremde Sprache eine zunächst unüberwindbar scheinende Barriere sein. Man sucht Anknüpfungspunkte für die oft langen und mit ungewöhnlichen Konsonantenhäufungen verzierten Worte: Das zwischen grünen Hügeln auf dem Weg zum Startpunkt unserer Wanderung liegende Dorf hieß Kökutpuszta. Das paßte so gar nicht zu unserer Vorstellung von Puszta. Einige Tage später, wir waren nun schon Dutzende Kilometer durch Laubwälder gegangen, hieß ein einsamer Hof Szelcepuszta. Unser Wörterbuch übersetzte Puszta mit „Einöde, verlassen“. Solche Einsamkeit schätzen Wanderer. Später in Südungarn sollten wir noch den anderen, mehr unseren Vorstellungen entsprechenden Typ von Puszta finden. Doch Verständigungsängste sollten nicht der Grund sein, nicht in das fremde, interessante Land zu fahren. Sehr viele Ungarn sprechen deutsch oder englisch; für einige Fragen half auch -siehe oben- das Wörterbuch.
Wir wußten nur sehr wenig über die Wanderverhältnisse in Ungarn, eigentlich nur, daß auch durch dieses Land Europäische Fernwanderwege führen. Als Anlaufadresse hatten wir die Zentrale der Naturfreunde in Budapest. Dort bekam ich ein Heft mit Kartenskizzen und vielen Ortsnamen. Daraus ließen sich Tagesmärsche zusammenstellen. Für die Ungarn dient dient das Heft hauptsächlich dazu, sich an Zwischenetappen Stempel geben zu lassen, um zum Schluß Anrecht auf eine Auszeichnung zu haben. Diese uns ein wenig „sozialistisch“ anmutende Sache praktizierten wir nicht. Wir trafen Einzelwanderer und Jugendgruppen und einmal stießen wir auf einen Streckenbetreuer, einen betriebsamen älteren Mann, der gut deutsch sprach und lebhafte Erinnerungen an die Zeit des Freundschaftsweges Eisenach-Dresden-Budapest hatte und auch noch einen Vorrat von den damaligen Anstecknadeln besaß.
Eines der nächsten ungarischen Worte, das wir lernten, war „kek“, d.h. blau. Auf blaue Striche zu achten, wurde zu unserer zweiten Natur. Doch war die Markierung über die ganze Zeit unserer zehntägigen Wanderung gut, wenn auch auf manchen Etappen etwas verblaßt. Es gab aber auf unseren Karten und in der Örtlichkeit auch noch rote, grüne und gelbe Striche und Wege. So lernten wir noch andere Farbnamen, z.B. „pirosch“ für Rot. Da half eine Gedankenverbindung zu einer Filmfigur der 50er Jahre. Für uns hatte Blau die Priorität, denn das war die Farbe der Fernwanderstrecken. Unsere Route war die Kektura, „die blaue Tour“. Nach und nach begriffen wir das System der ungarischen Wanderwege: In landschaftlich schönen Gebieten existiert ein Geflecht von vielen markierten Wegen, doch den Hauptstrang bilden die blauen Strecken, die zum größten Teil auch Bestandteile des Netzes der in den 80er Jahren definierten Europäischen Fernwanderwege sind.
Die blauen Strecken bilden einen Ring um das Land und sind nach Westen mit den österreichischen und slowenischen Fernwanderwegen verbunden. Die Übersichtskarte zeigt auch eine Weiterführung des E6 nach Rumänien. Dieses „blaue Band“ hat eine Länge von etwa 2.300 km und wurde überwiegend am Rand des Landes trassiert. Vom Donauknie nördlich von Budapest geht die „blaue Tour“ in Richtung Osten durch das Matra-Gebirge und die angrenzenden Bergwälder. An wenigen Punkten erreicht der Weg Höhen von 1000m. Die Fortsetzung entlang der rumänischen Grenze geht durch die Tiefebene. Erst wenn der Weg zwischen Szeged und Pecs die Donau gequert hat, kommt er wieder in Hügelland und berührt den Plattensee, den Balaton, an der Nordwestecke. Von dort erreicht man durch eine sehr abwechslungsreiche Landschaft wieder Budapest. Wir wählten zum Kennenlernen den Nordostabschnitt. Lange Strecken durch herrliche Buchen- und Eichenwälder wechselten mit landwirtschaftlich genutzten Flächen.
Mit großer Anteilnahme gingen wir durch die Dörfer. Es waren langgezogene Straßendörfer. Häufig überwogen noch die traditionellen Hausformen. Besonders gut gefielen uns die schmalen, in die Tiefe eines Grundstückes reichenden Häuser mit einer vorgelagerten Pfeilerloggia. Weißgekälkte Gebäude kontrastierten mit bunten Gärten und grünen Obstbäumen. Zwischen dem Fußweg vor den Häusern und der Straße lag meist ein Grünstreifen, entweder als Rasen mit Obstbäumen genutzt oder mit Sträuchern und Blumen geschmückt. In einem besonders schönen Dorf gingen wir an Hunderten von blühenden Malven entlang.
Es war aber keineswegs immer eine „heile Welt“, durch die wir gingen. Oft waren es alte Menschen, die uns freundlich zunickten oder ansprachen- und ganz erstaunt waren, daß sich bis hierhin Ausländer verirrt hatten. Die jungen Leute waren wohl oft in die Städte gezogen. Wir sahen leerstehende verfallende Häuser. Wir sahen aber auch oft verwahrloste Häuser, die keine Blumengärten und gepflegten Zäune hatten, aber von vielen Menschen bewohnt waren. Schon frühmorgens drang laute Radiomusik nach draußen. Dann konnten wir ziemlich sicher sein, daß hier eine Roma-Familie in ein leergezogenes Haus eingewiesen worden war. Zum Wandern braucht man Flüssigkeiten. Und wenn ich morgens unseren Tages-Vorrat an Mineralwasser und Weißwein in einem der in jedem Dorf reichlich anzutreffenden „Italbolt“, zu deutsch Getränkegeschäft, auffüllen wollte, traf ich meist dort schon den einen oder anderen arbeitslosen Stammkunden an.
Die Regierung hat die Strukturschwäche der Nord-Ost-Region begriffen und ein komplexes Dorferneuerungsprogramm begonnen. Der Anbau und die Vermarktung von Obst und Gemüse und besonders von Heilkräutern und Gewürzen und auch von Hanf werden unterstützt; Feriendörfer und Unterkünfte für ältere Menschen sollen geschaffen werden und Fremde sollen in den Dörfern übernachten können. Von dieser letzten Sache profitierten wir mehrfach auf sehr eindrückliche Weise: In Irota war ein kleines Gehöft mit sehr viel Liebe für das Detail als Übernachtungshaus hergerichtet worden. Eine Frau aus dem kleinen Dorf hatte die Aufsicht und bereitete uns aus eigenen Vorräten, weil der Laden schon geschlossen war, ein schmackhaftes Essen.
Einige Tage zuvor hatten wir in einem ehemaligen calvinistischen Pfarrhaus geschlafen, wo Doppelstockbetten den Charakter einer Jugendherberge erzeugten. Aber die mächtigen Deckenbalken in den großen Räumen und die breite Säulenloggia vor dem weißgekälkten Gebäude, das von weit sichtbar über dem Dorf lag, vermittelte, wie wichtig früher die Geistlichkeit in den Dörfern war.
Wie sonst gewohnt wurde, erlebten wir an verschiedenen Beispielen. Nur an wenigen Punkten entlang unserer Strecke gab es Hotels; die Regel war, daß wir an den Etappenorten fragten, wer Zimmer vermietet. Ein bißchen Geduld und Zuversicht brauchten wir, die Sprachbarriere demonstrierte letztlich unsere Hilflosigkeit und führte mehrmals dazu, daß den so unerwartet hereingeschneiten Fremden schließlich ein Zimmer im eigenen Haus oder in der Nachbarschaft angeboten wurde. Die schon angesprochene Landflucht hat dazu geführt, daß einige Familien mehrere Häuser besaßen oder nur noch Teile weitläufiger Anlagen bewohnten.
Unsere „blaue Tour“ führte uns mehrmals ganz nahe an die slowakische Grenze. Obwohl wir wußten, daß von ihr keine Gefahr ausgeht, machte uns das hier noch ruhiger als sonst daliegende Land etwas beklommen. Viele Kontakte hinüber schien es nicht zu geben; wenn ich versuchte „slawische“ Vokabeln anzubringen, scheiterte ich regelmäßig. Desto bemerkenswerter schien mir ein von der Europäischen Union angestoßenes Projekt eines gemeinsamen slowakisch-ungarischen Reiseführers zu den Sehenswürdigkeiten beiderseits der Grenze.
Daß wir uns in einem Gebiet mit sich überlagernden Geschichtsspuren befanden, stellten wir mehrfach fest: Die Dorfkirchen waren nur selten katholisch. Nach dem Josephinischen Toleranzedikt hatten sich die reformierten Gemeinden viele Gotteshäuser gebaut. Ebenso stießen wir auf Kirchen mit Ikonostasen, d.h. der in der Ostkirche üblicher Abtrennung von Gemeinderaum und Allerheiligstem. Es waren aber orthodoxe Gemeinden, die den Papst als Oberhirten anerkennen. Sarospatak, der Endpunkt unserer nordungarischen Wanderung, war der Geburtsort der Heiligen Elisabeth, der nach Thüringen verheirateten Landgräfin. Aber dort befindet sich auch, vor 200 Jahren gefördert durch antihabsburgische Adlige, eine ausgedehnte reformierte Hochschule, ein kleines „Harvard in der Puszta“, wie sich uns gegenüber ein Ungar ausdrückte.
Um auch noch andere Facetten der ungarischen Landschaft kennenzulernen, wanderten wir zum Schluß noch einige Tage in dem „Alföld“, der Tiefebene im Süden. Auch hier war die Markierung ausreichend, doch spürten wir, daß die Strecke weniger begangen wird. Das weite flache Land, was für uns so typisch ungarisch ist, mag für die Ungarn selbst nur ein geringer Ansporn sein, es mühsam zu Fuß zu durchqueren. Die große Einsamkeit war eindrücklich. Der Wanderweg folgte oft langen Baumreihen, viel Pappeln, dazwischen Robinien, Nußbäume und Mirabellen. Wir beobachteten intensive Landwirtschaft; die Verwandlung von Mais in Schweinefleisch war auch am Geruch nachzuvollziehen. Leere oder halbgenutzte Gebäude erinnerten an die DDR-Landwirtschaft. Die Dörfer waren nicht so charaktervoll wie im Gebirge. Wir vermißten auch die guten 1:50.000-Landkarten, die es für den Norden und den Westen Ungarns gibt. Doch wir fühlten uns entschädigt durch die Fülle von Tieren, insbesondere von Vögeln, die wir unterwegs sahen. Als wir am letzten Tag an einer Reihe großer Grabhügel vorbeikamen, hatten wir das Gefühl, das mythischen Zentrum des Landes gestreift zu haben.
Diese Ausführungen sollen ganz generell einladen, nach Ungarn zu fahren und dort auch zu wandern. Für diejenigen, die unsere Erfahrungen direkt nachvollziehen wollen, hier der Verlauf unserer Tour:
Ausgangsort in Nordungarn: Sirok, private Unterkunft
1. Tag bis Szarvaskö, 17,5 km, private Unterkunft 2. Tag bis Bankut, 33 km, Hotel 3. Tag bis Putnok, 27 km, private Unterkunft 4. Tag bis Zadorfalva, 18,5 km, Wandererherberge 5. Tag bis Josvafö, 27 km, Hotel 6. Tag bis Bodvaszilas, 27 km, private Unterkunft 7. Tag bis Irota, 26,5 km, Touristenhaus 8. Tag bis Baktakek, 18 km, private Unterkunft 9. Tag bis Boldogkövaralja, 23 km, private Unterkunft 10. Tag bis Kökapui, 30 km, Schloßhotel 11. Tag bis Sarospatak, 24 km, Pension 12. Tag Rückfahrt mit Eisenbahn bis Sirok
Ausgangsort in Südungarn: Szeged, Hotel
1. Tag (mit Taxi nach Sandorfalva) bis Mindszent, 30 km, private Unterkunft 2. Tag bis Nagymagos, 30 km, private Unterkunft 3. Tag bis Cadoros, 16 km, Rückfahrt mit Bahn nach Szeged
Weitere Informationen:
Ungarischer Naturfreundebund: Magyar Termeszetbarat Szövetseg HU-1065 Budapest, Bajcsy-Zsilinsky Ut 31.II.3 Tel. :0036(-1)311-2467 und 311-9289, Fax: 0036(-1)353-1930
Fachgeschäft für Landkarten: Földgömb-es Terekbolt HU-1065 Budapest, Bajcsy-Zsilinsky Ut 37 Tel./Fax:0036(-1)312-6001
Erschienen in "Mitteilungsblatt" Zeitschrift des Vereins Netzwerk Weitwandern e.V. Ausgabe 11 - August 2003
Der Norden Ungarns – eine wenig
bekannte Region Europas
Von Sátoraljaújhely (Grenze zur
Slowakei) bis Putnok
Im Mai 2009 unterwegs auf dem
Von Wolfgang Meluhn
1. Tag: Anreise Heidelberg nach
Sárospatak
Holunderplantagen und tanzende Mädchen
Denkt man an Ungarn, fallen einem sofort
Budapest, der Plattensee und die Puszta ein. Der Nordosten des Landes ist
dagegen weit weniger bekannt. Nicht mehr die Slowakei, sondern dieser fremde
Landesteil erwartete dieses Jahr „die Eisernen“ der Wandergruppe.
Um 10.30 Uhr flogen wir von Frankfurt
nach Budapest, wo wir pünktlich um 12.05 Uhr auf dem Flughafen Ferihegy
landeten. Mit dem Zug ging es weiter in den Nordosten von Ungarn. Unweit des
berühmten Weinortes Tokaj erreichten wir dann den Bodrog, der hier in die Tisza
(Theiß) mündet. Später fielen uns kurz vor unserem Tagesziel am Südrand des
Zempliner Gebirges große weiß blühende Holunderplantagen auf. Auch in den
nächsten Tagen kamen wir immer wieder an solchen Holunderkulturen vorbei.
Um 19.00
Uhr trafen wir in Sáros-patak ein. Vor dem Bahnhof grüßte uns die Skulptur einer
Mädchen-Tanzgruppe. Durch einen Park mit vielen Bäumen, der sich bei den
Schülern des nahen Kollegiums großer Beliebtheit erfreut, gelangten wir zum
reformierten Kollegium, einem Gymnasium von hoher Qualität. An einer Kreuzung
befand sich auf einem Holzstrommast ein großes Storchennest und der Besitzer war
gerade eifrig am Klappern. In der Dobó Ferenc út 39 wurden wir mit sehr
lautstarkem Gebell empfangen. Fast jedes Haus hatte einen Wachhund und beim
Vorbeilaufen an den Vorgärten gab jedes Tier sein Bestes. In der kleinen
Pension „Harmónia Panzió“ bezogen wir für zwei Nächte Quartier.
2. Tag: Stadtführung Sárospatak,
Sátoraljaújhely
→ Makkoshotyka
Eine Hochburg
klassischer Bildung, Tokajer und die heilige Elisabeth
Kurz nach dem Frühstück holte uns Frau
Szabo zur Stadtführung in Sárospatak ab. Hohe Bedeutung hat das kirchliche
Kolleg (reformiertes Kollegium), das wir gleich am Anfang besichtigten. 14- bis
18-jährige Schüler machen an diesem Gymnasium heute ihr Abitur. In den 1950er
Jahren wurde die Bildungsanstalt aus politischen Gründen geschlossen und erst
1989 mit dem Zusammenbruch des Kommunismus wieder eröffnet. 1531 erfolgte die
ursprüngliche Gründung. Rákóczi I. und seine Gattin Zsuzsanna Lorantffy sorgten
im frühen 17. Jh. für umfangreiche Gebäude, für ausgezeichnete Lehrkräfte und
für eine Bibliothek von Rang mit einer Druckerei.
Uns
beeindruckte während der Führung vor allem die Bibliothek. Die wertvollen alten
Bibelübersetzungen, u. a. von Luther und auf Arabisch, Jüdisch und in Sanskrit
fielen besonders auf. An der Decke sind Gemälde von Minerva und Apollon, die
Wände sind holzgetäfelt. 2006 konnten 85 % der Buchraritäten, die 1945 von der
sowjetischen Armee geraubt wurden, wieder beschafft werden.
Beim weiteren Stadtrundgang gelangten
wir vor der Burgkirche zu der Bronzestatuengruppe der heiligen Elisabeth und
ihres Mannes, dem Landgraf Ludwig von Thüringen. Elisabeth wurde 1207 in
Sárospatak als drittes Kind des
ungarischen König Andreas II. und der bayrischen Herzogin Gertraud aus dem
Geschlecht Andechs–Meranien geboren.
Beeinflusst von dem Franziskanerorden
errichtete sie in Marburg/Lahn ein Spital. Dort verstarb sie bereits mit 24
Jahren. Die heilige Elisabeth zählt zu den herausragendsten Frauen der
europäischen Geschichte. Der Fernwanderweg Eisenach – Budapest (EB), auf dem wir
unterwegs sind, folgt den Spuren dieser berühmten Frau.
Unweit der
Bronzeplastik der hl. Elisabeth erreichten wir die Hauptsehenswürdigkeit der
Stadt, das Renaissanceschloss Rákóczi oberhalb des Flusses Bodrog. Im 15. Jh.
wurde der Rote Turm (Vörös-torony) errichtet. Wehranlagen waren mit Teilen der
Stadtbefestigung verbunden. Der gesellschaftliche Aufstieg der kleinadligen
Familie der Rákóczi erfolgte während der Türkenkämpfe. Im Rahmen unseres
Burgbesuches besichtigten wir den Palas, die Keller, Lagerräume und Wehranlagen
mit Schießscharten. Sehr empfehlenswert ist der Aufstieg auf den Roten Turm. Ein
Rundgang über die Wehrmauern bietet einen wunderschönen Ausblick auf die Stadt,
den Fluss und die umliegenden sanften Konturen der Zempliner Berge.
Mit dem Taxi fuhren wir gegen Mittag in
Richtung Sátoraljaújhely. An einem Waldhang erreichten wir den
"Kék-túra"-Wanderweg (europäischer Fernwanderweg E4). Schmale, mit Laub bedeckte
Pfade erwarteten uns. Nur leichte An- und Abstiege waren zu bewältigen. Junge
Buchen- und Eichenwälder wechselten sich ab. Glockenblumen und eine Zikade
weckten unsere Neugier. Immer wieder rief ein Kuckuck. Fast schien es, als ob
das Tier vor uns her flöge. Dadurch wurden wir aber auch auf andere Vogelstimmen
aufmerksam. Buchfinken, Amseln, Drosseln, Fitislaubsänger, Heckenbraunelle,
Meisen und Buntspechte waren zu hören. An vier Buntspechthöhlen kamen wir
vorbei, aus denen die Jungen
heftig um
Futter bettelten. Eine noch flugunfähige Jungamsel flüchtete am Wegesrand.
Mitten im Wald erreichten wir dann eine große Wiese mit einer Holzdatscha.
Kirschbäume lockten uns mit ihren reifen Früchten verführerisch an. Auf einem
Holzpfahl war ein Ochsenkopfskelett mit Hörnern befestigt. Wasser gab es auch
aus einem Brunnen. Auf zwei Holzbänken legten wir hier eine ausgiebige Rast ein.
Auch die
Fortsetzung des Weges führte im Laubwald entlang und damit blieb uns auch das
lebhafte Vogelkonzert erhalten. Im Schlussteil der Halbtagestour ging es dann
über große Wiesen. Offensichtlich handelte es sich um Brachland, das nicht mehr
landwirtschaftlich genutzt wurde. Für Singvögel bot dies wiederum einen idealen
Lebensraum. Finken, Meisen und einen Neuntöter bekamen wir zu Gesicht. Auch ein
Sperber lauerte im Rüttelflug auf Beute. In einem kleinen Kiefernwäldchen hatte
wohl erst vor wenigen Tagen ein Waldbrand gewütet. Büsche, Bäume und der
Grasboden waren verkohlt bzw. angebrannt. In Makkoshotyka warteten wir dann an
der Bushaltestelle auf den Bus zurück nach Sárospatak.
Bei dem schönen Wetter setzten wir uns
später in Sárospatak noch in einen Biergarten. Das Abendessen genossen wir
später wiederum im Lokal Vár gegenüber der beleuchteten Burg.
3. Tag:
Makkoshotyka
→ Regéc
Vogelscheuchen,
Kuckucksruf und Palinka (Schnaps)
Pünktlich um 8.00 Uhr stand der
Taxifahrer vom Vortag vor unserer Pension. Er fuhr uns wieder etwa 10 km zum
europäischen Fernwanderweg E4. Am Ortsrand von Makkoshotyka fanden wir sofort
das blau-weiße "Kék-túra"- Wanderzeichen. Heute stand die erste längere
Wanderstrecke von immerhin 26 km bevor. Bei 25° – 26° und schönem Wanderwetter
herrschten beste Bedingungen.
Fasziniert waren wir zunächst von
zahlreichen Vogelscheuchen, die am Ortsende ein Kartoffelfeld vor Wildfraß
schützen sollten. Holzkreuze waren phantasievoll bunt mit alten löchrigen
Pullovern, Hüten und zweimal sogar mit Hosen menschenähnlich bekleidet. Auf dem
Kartoffelfeld bestand der Kopf einer Vogelscheuche aus einem Eimer, den wir
abwechselnd spaßeshalber durch unsere eigenen Köpfe ersetzten.
Das Lachen
verging uns jedoch rasch, denn jetzt, gleich am Anfang, ging es einen Pfad im
Buchenwald steil nach oben. Abwechslung brachten zwei Kuckucke, die uns fast
eine dreiviertel Stunde mit ihrem „Glücksruf“ unterhielten. Vielleicht war es
ein Pärchen und einer der beiden hatte gerade ein eigenes Ei fremden Vogeleltern
„untergejubelt“. Der Ruf des Kuckucks soll aber auch Glück bringen, und da wir
alle Geld bei uns hatten, auch für weiteren Reichtum sorgen.
Nach einer weiteren halben Stunde
erreichten wir Cifra kút, eine Quelle mit einer hölzernen Sitzgruppe. Auf
breiten mit Waldfahrzeugen befahrenen Wegen marschierten wir dann weiter.
Eichen- und Buchenwälder wechselten sich ab. Der Hauptanstieg der Tagesstrecke
war bald darauf geschafft und kurzfristig wurden wir mit einem schönen Berg- und
Talblick über das Zempléni-hegység (Zempliner Gebirge) belohnt. Da fast nur im
Wald gewandert wurde, war die Tageshitze kaum zu spüren. 26.500 ha des
vulkanischen Zempliner Gebirges sind Landschaftsschutzgebiet. Hier sind die
meisten Raub- und Wildtiere Ungarns wie z. B. Wölfe, Luchse, Eulen,
Wildschweine, Rothirsche, Rehe und Mufflons vorzufinden.
Zweimal kamen uns heute sogar Wanderer
entgegen, was auf den weiteren Etappen selten der Fall war. Kurz nach 17.00 Uhr
war noch ein kleiner felsiger Abstieg zu meistern und dann hatten wir den
kleinen abgelegenen Ort Regéc, unser Tagesziel, erreicht.
Vor unserer Unterkunft „Veronika Panzió“
genossen wir bei dem schönen Wetter noch ein kühles Bier. Nach dem gemeinsamen
Abendessen lud uns der Pensionsinhaber noch zu einer Runde Palinka ein. Da wir
jedoch kein Ungarisch sprechen und unsere Gastgeber nur diese Sprache
beherrschen, blieb die Kommunikation mit ihnen leider begrenzt. Trotz des
nächtlichen Froschgequakes aus den beiden Gartenteichen schliefen wir wie die
Murmeltiere.
4. Tag:
Regéc
→
Boldogkőváralja
Rotes Gold,
ein Trockenflussbett und Burgenromantik
Das heutige landestypische Frühstück
bestand neben dem Paprika noch aus Tomaten, Käse- und Wurstscheiben, Butter,
Marmelade und weißem Brot. Der Kaffee (kávé) ist für deutsche Gaumen
gewöhnungsbedürftig. Ich bin deshalb wie schon in der Slowakei zum Teetrinker
geworden.
Ein Blick aus dem Fenster zeigte bestes
Wanderwetter, sonnig und jetzt am Morgen schon 19° C. 17 km waren heute zu
wandern. Ein lang gezogener 325 m Aufstieg und dann fast nur noch abwärts (- 562
m). Eile war deshalb nicht geboten.
Vom
unteren Ortsende aus sahen wir vor uns auf einem bewaldeten Berg die Burg von
Regéc (Regéc vára). Zunächst ging es zu ihr über Wiesen aufwärts. Bald darauf
wechselten wir auf einen breiten ungeteerten Fahrweg im Laubwald, der Zufahrt
zur Burg. Wir merkten, dass heute Sonntag war, denn es waren, für uns ganz
ungewohnt, auch andere Spaziergänger und Wanderer unterwegs. Oben angelangt,
nach ca. zwei Stunden, den kurzen Weg rechts zur Burg liefen wir nicht, blieben
wir zunächst auf dem Höhenweg, der aber bald rasch nach unten ins Dorf
Mogyoróska führte.
Eine verschlammte Wiese führte uns weg
vom Dorf zu einem fast ausgetrockneten Bachbett. Nur einige tiefere Löcher waren
noch mit Wasser gefüllt. Auch hier hatte die dreiwöchige Trockenheit ihre Spuren
hinterlassen. Etwa zwei Stunden marschierten wir mal rechts, mal links auf
schmalem Pfad den „leeren“ Bach entlang.
Nach einer kleinen Rast erreichten wir
bald danach das Ende des Wanderpfades entlang des trockenen Bachbettes. Leicht
aufwärts durch Buschwerk stießen wir dann auf eine Teerstraße, an der sich
mehrere Walnussbaumplantagen befinden.
Über den Friedhof erreichten wir dann
den Ort Arka. Das Friedhofsgelände befindet sich auf einer abschüssigen Wiese
und ist weder umzäunt noch ummauert. Auf vielen Grabsteinen bzw. Holzkreuzen sind Bilder der Verstorbenen zu sehen. Vor einigen Gräbern standen
auch
Holzschemel zum Sitzen für die Angehörigen.
Glücklicherweise
fuhren fast keine Autos, denn erst nach einem weiteren dreiviertel Stunde
Fußmarsch auf einer Teerstraße gelangten wir an unser Tagesziel,
Boldogkőváralja. „Boldog“ heißt glücklich und „kö“ bedeutet Stein.
Hauptattraktion ist jedoch die eindrucksvolle märchenhafte Burg, die oberhalb
des Ortes auf einem mächtigen Felsgesims thront und beim Anblick von unten wie
nahtlos mit dem Gestein verwachsen zu sein scheint. Für einen mittelalterlichen
Ritterfilm die ideale Kulisse.
Schwierig gestaltete sich für uns die
Suche nach unserem Übernachtungshotel, da in Ungarn die Häuser nicht immer nach
aufeinander folgenden Hausnummern angeordnet sind. Nach längerem Fragen und
Umherirren standen wir dann endlich am Ortsende unterhalb der Burg vor dem
gesuchten Haus.
Bei
dem schönen Wetter war es keine Frage, die Burganlage noch zu erklimmen. Nach
zwanzig Minuten war auch der felsige steile obere Streckenabschnitt überwunden
und die Außenmauer der Burg erreicht. Jetzt, am Spätnachmittag, bot sich ein
sagenhafter Rundblick auf das Hernád-Tal mit dem Dorf und auf die umliegenden
Berge des Zempliner-Gebirge. Im Inneren der Burg befinden sich ein Andenkenladen
und ein kleines Museum mit alten Schriften, Waffen und Münzen. Die Burg Boldogkö
(Glück-licher Stein) wurde im 13. Jh. erbaut. 1702 sprengten die Habsburger das
mächtige Bollwerk der Siebenbürger Fürsten.
5. Tag:
Boldogkőváralja
→ Forró-Encs
im Hernád-Tal
Eile mit Weile,
Akazienduft und Mähglück eines Roma
Wolfgang drängte zum Aufbruch, eine
Zugverbindung um 12.11 Uhr müssten wir unbedingt erreichen.
Schon um 8.10 Uhr standen wir alle
marschbereit am Hoteleingang und warfen einen letzten Blick zur Burg hinauf. Im
straffen Tempo liefen wir dann längere Strecken auf wechselnden Teerstraßen
entlang. Wir passierten den kleinen einsamen Bahnhof von Boldogköváralja, der
weit außerhalb liegt. Bereits nach einer Stunde erreichten wir den Ortsrand von
Hernádcéce.
Weiter ging es von hier auf einem
ruhigen Höhenweg zwischen Wiesen entlang. Bald löste ein großes Akazienwäldchen
die Grasflächen ab. Ein leichtes Brummen erfüllte die Luft. Tausende von Bienen
waren in den Kronen der Akazien auf Honigsuche.
Der stramme Wanderschritt brachte uns weiterhin zügig
voran und erst am Rand des Dorfes Gibárt legten wir eine kleine Pause ein. Keine
Viertelstunde später tauchte ich meine Hände in das vertraute Wasser des
Gebirgsflusses Hernád (slowakisch Hornád), an dessen Ufern wir bereits im
slowakischen Paradies längere Wanderungen unternommen haben. Hier in Gibárt ist
der Fluss im Sommer zwar flach, aber doch ca. 25 Meter breit. Über eine Brücke
mit Eisengeländern gelangten wir auf die andere Dorfseite. Von Gibárt waren es
dann noch fünf Kilometer bis zum Bahnhof in Forró-Encs, wo wir um 11.10 Uhr
eintrafen. 16 km hatten wir also in
drei Stunden bewältigt (Ø
5,3 km/h), und das bei der Hitze. Viel zu früh waren
wir angekommen. Wie sich jetzt herausstellte, fuhr der Zug nach Miskolc erst in
einer Stunde ab. Für eine Mittagspause war also jetzt nach dem Eilmarsch viel
Zeit (Eile mit Weile).
In der Bahnhofsgaststätte von Forró-Encs
aßen wir eine Suppe und sahen einem Roma zu, wie er das hohe Gras draußen am
Bahngelände abmähte. Obwohl er nur ungarisch sprach, zeigte er mir durch Gesten,
dass er drei kleine Kinder habe und sehr arm sei. Er heiße Laszlo. Am
Bahnhofskiosk kaufte ich ihm auf seinen Wunsch hin eine Flasche Bier, Zigaretten
und Kekse für seine Kinder. Im Gegenzug dafür durfte ich mit der Sense Gras
mähen. Laszlo nickte mir nach zehn Minuten anerkennend zu, ich hatte doch auch
schon viel Gras sauber abgemäht. Kurz bevor der Zug einfuhr,
kam er
uns noch auf den Bahnsteig nach und bat um ein Handy als Geschenk. Diesen Wunsch
konnten wir ihm jedoch nicht erfüllen.
6. Tag: Forró-Encs im Hernád-Tal
→ Miskolc
und Aggtelek
Großstadtflair und
Busimpressionen
Eine Stunde brauchte der Zug von
Forró-Encs nach Miskolc. Es ist die drittgrößte Stadt Ungarns mit 180.000
Einwohnern und neben Budapest der wichtigste Standort der Schwerindustrie. Mit
der Straßenbahn fuhren wir ins Zentrum der Stadt. Es war sehr schwül und bei der
schlechten Luft in den überfüllten Wagen waren wir froh, die Innenstadt erreicht
zu haben. In der Fußgängerzone herrschte reger Betrieb und die zahlreichen Läden
bieten die ganze Fülle des Konsums.
Die größten Sehenswürdigkeiten in
Miskolcs sind heute die reformierte Kirche von 1560, das Nationaltheater, die
doppeltürmige Barock-kirche der Minoriten und die orthodoxe Serbenkirche.
Imposant ist auch das Burgschloss vor der Stadt.
In einer Seitenstraße der Fußgängerzone
genossen wir typische ungarische Küchengerichte. Meine Wahl fiel auf gefüllte
Paprika. Das Essen schmeckte vorzüglich. Weiter schlenderten wir dann durch die
belebte Fußgängerzone zum Busbahnhof der Stadt, wo sich auch ein Obst- und
Gemüsemarkt befindet. Es herrschte großes Gedränge an den Abfahrtsplätzen der
Busse, die von hier aus in alle Himmelsrichtungen des Landes fahren. Auch
unseren Bus hatten wir rasch entdeckt. Über zwei Stunden waren wir jetzt mit ihm
bis nach Aggletek unterwegs. Er war zunächst voll bis auf
den
letzten Platz. Bis zur dritten Haltestation weit außerhalb der Stadt musste ich
stehen. Erst jetzt fanden alle Fahrgäste einen Sitzplatz. Ich setzte mich zu
einer Gruppe von Jungen in der letzten Reihe. Sie besuchten ein Gymnasium in
Miskolc und mussten hin und zurück an jedem Schultag insgesamt drei Stunden mit
dem Bus fahren. Von Deutschland kannten sie die großen Automarken und
Fußballvereine wie Bayern München und Borussia Dortmund.
Zunehmend wurde die Landschaft
gebirgiger. Immer leerer wurde der Bus und um ca. 16.00 Uhr stiegen wir dann
alleine an der Endstation, am „Cseppkó Hotel“, aus. Das Hotel liegt etwas
außerhalb des Ortes Aggtelek auf einem Hügel, unweit einer der größten
Tropfsteinhöhlen Europas. Die slowakische Grenze ist nur wenige 100 m entfernt.
7. Tag:
Aggtelek
→ Szögliget
→
Aggtelek
Eine Geisterstadt,
Ornithologen und ein besonderer Salamander
22 Kilometer betrug die heutige
Wanderstrecke. Abgelegen und weitgehend unberührt, zählte das Karstgebiet des
Nationalparks Aggtelek zu den Höhepunkten der gesamten Pfingsttour 2009. Durch
Jósvafö fließt der Baradla. Ein kleiner Bach, nach dem auch die große
Tropfsteinhöhle in der Nähe benannt ist und die wir morgen besichtigen wollten.
Einige Gänse und Enten am Wasser vermittelten noch eine Dorfidylle, die bei uns
zu Hause kaum noch existiert.
Anfangs führte der Wanderweg aus dem
Dorf hinaus am Bach entlang. Im Laubwald ging es dann, wie gewohnt, rasch voran,
bis wir in einem ansteigenden Talkessel mit großen Wiesen die Orientierung
verloren. Zwar führten Wege in verschiedene Richtungen aufwärts zum umliegenden
Wald, aber das Wanderzeichen fehlte. „Sternförmig ausschwärmen“, in solchen
Situationen sind wir mittlerweile ein eingespieltes Team. Bereits nach einer
Viertelstunde war rechter Hand der richtige Waldweg gefunden. Der weitere
Verlauf der Strecke erwies sich als gut ausgeschildert. Die Wege waren „weich“
zu begehen. Nur kleine An- und Abstiege wechselten sich ab. Immer abgelegener
wurde die
Gegend.
Aus dem Weg wurde ein schmaler Pfad, auf dem wir nun wie die Gänse
hintereinander unterwegs waren. Der Laubwald wurde jetzt von Fichten und Tannen
abgelöst.
Der Wald blieb auch weiterhin sehr
dicht. Nur gegen Mittag lichtete er sich kurzzeitig. Eine Wiese mit einem großen
Hochsitz erwies sich als der ideale Platz für eine Mittagspause. Beim
Weitermarsch trafen wir überraschend auf eine Füchsin (Fähe) mit zwei Jungen.
Keine 10 Meter vor uns kreuzte sie mit den tollpatschigen Kleinen unseren Weg.
Der Wald hörte gleich danach auf und auf mit Büschen bewachsenen Wiesen waren
Hausruinen, eine kleine Kapelle sowie ein Friedhof mit Holzkreuzen zu sehen.
Auch einen ehemaligen Brunnen entdeckten wir. Wir hatten das verlassene Dorf
Derenk erreicht.
Ursprünglich war es ein ungarisches
Dorf, dessen Bevölkerung durch die Pest im frühen 18. Jh. dezimiert wurde, die
Überlebenden flohen. Die Fürstenfamilie Esterházy siedelte hier jedoch ab 1711
wieder polnische Immigranten an. Die neuen Bewohner brachten ihre eigene Sprache
und Religion mit. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Einwohner in einem
öffentlichen Referendum befragt, ob sie zur Slowakei (Tschechoslowakei) oder zu
Ungarn gehören wollten. Sie entschieden sich wohl aus wirtschaftlichen Gründen
für Ungarn.
1936 wurde dann zum Schicksalsjahr des
Ortes. Die abgelegene Lage und die waldreiche Umgebung waren seit jeher ideal
für die Jagd. Der ehemalige Premierminister Miklós Horthy wollte jetzt hier ein
von Menschen unberührtes Jagdgebiet schaffen. Sechs Braunbären wurden
angesiedelt. Die lokale Bevölkerung stand diesen Plänen im Wege. Gegen
Entschädigung verließen immer mehr Dorfbewohner ihren Wohnort und zogen in
Nachbargemeinden mit besseren Ackeranbauflächen. Bis 1943 dauerte die
Umsiedlung. Dann war Derenk menschenleer. Kirche und Gebäude wurden abgerissen.
Heute treffen sich dort aber alljährlich noch ehemalige Bewohner und ihre
Nachkommen zu einem Wiedersehen.
Nach einem einstündigen leichteren
Abstieg, jetzt wieder im Laubwald, erreichten wir eine Hütte des Nationalparks
von Aggtelek (Szalamandra Ház). Das Naturschutzgebiet umfasst über 60.000
Hektar. Über 1.000 kleine bzw. größere Höhlen
des Aggteleker und Slowakischen Karstes
zählen dazu. Sie wurden 1995 von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt.
Groß war unsere Enttäuschung, als wir
von zwei Parkrangern erfuhren, in der Hütte gebe es außer Quellwasser nichts zu
trinken. Eine dreiviertel Stunde später, nach drei Kilometern, saßen wir jedoch
im Freien vor einer Gaststätte im Zentrum von Szögliget. Am Nachbartisch waren
vier englische Ornithologen (besser: Lepidoterologen), die sich zu
Forschungszwecken im hiesigen Nationalpark aufhielten. Schmetterlinge zählten zu
ihren Studienobjekten. Die Information überraschte uns nicht, denn dass
Nordungarn für Vögel und Schmetterlinge ein Paradies ist, hatten wir als
Weitwanderer längst festgestellt.
Mit dem Bus fuhren wir um 18.30 Uhr nach
Aggtelek zurück. Während der Fahrt, kurz vor dem Dorf, sahen wir auf einem
Bergeshang gegenüber einen mit Büschen geformten Salamander. Er hob sich
deutlich von seiner Umgebung ab. Der Feuersalamander ist das Logo des Aggtelek
Nationalparks, da diese Tiere kühle und dämmrige Umgebung (Höhlen) lieben.
8. Tag: Aggtelek → Höhlenwanderung nach
Jósvafö
→ Aggtelek
Naturschönheiten in
einer der längsten Tropfsteinhöhlen Europas
Das Aggtelek- und das angrenzende
slowakische Karstgebiet bilden geographisch eine Einheit. Die über 1.000 Höhlen
innerhalb der etwa 60.000 Hektar umfassenden Region wurden, wie schon erwähnt,
von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt und zählen mit zu den interessantesten
und schönsten Sehenswürdigkeiten Ungarns. Der Hotelinhaber fuhr uns morgens in
Richtung des Nachbardorfs Jósvafö. Etwa auf halben Weg befindet sich der Eingang
am „Roten See“ (Vörös-tó) zur Baradla-Höhle. Sie ist mit 25,5 km eine der
längsten Tropfsteinhöhlen Europas. Mary, unsere Führerin, gab uns ca. 20
Personen zunächst einige allgemeine Hinweise. Zwei Stunden dauere die Führung
und die Temperatur drinnen betrage 10°
C,
Luftfeuchtigkeit 95 – 98 %.
In eine wahre Wunderwelt bizarrer
Formationen aus Kalkstein führten uns dann eine Treppe 271 Stufen hinunter zum
Bett des Baches Styx. Er führt nur zur Schneeschmelze im Frühjahr Wasser. Durch
die Kalkausfällungen des tropfenden Wassers sind Sintergebilde (Sinter sind
Ablagerungen), Tropfsteinsäulen, Stalaktiten, Stalagmiten, Sinterfahnen und
Sinterabflüsse von verschiedenen Farben und Formen entstanden. Die rotbraune
Farbe stammt von Eisenoxid und die neben den Lampen sichtbaren Moose und Algen
sind grün. Die schwarze Farbe deutet auf Rußverschmutzung hin und stammt von den
Fackeln der Besucher aus früheren Zeiten. In der Höhle sind auch viele
umgefallene und verstümmelte
Tropfsteingebilde zu sehen, denen man Phantasienamen gab. Einen Teil der Schäden
haben die Besucher verursacht. Früher war es nämlich möglich, Tropfsteingebilde
als Souvenir mitzunehmen.
Durch Wasserfärbung wurde festgestellt,
dass in der Höhle drei voneinander unabhängige Niveaus existieren. Etwa einen
Kilometer lang ist die so genannte „Kurze Unterhöhle“. Von dort aus fließt das
Wasser durch das Schluckloch in zwei ca. 30 m tiefer liegende Unterhöhlen.
Treppen führen hinter dem Schluckloch hin-unter in den Riesensaal (Óriások
terme). Der Riesensaal ist 130 m lang, 27 m hoch und durchschnittlich 40 m
breit. Archäologen haben hier Geschirrreste aus der Urzeit und sogar einen
Fußabdruck eines Urmenschen gefunden. Während des Besuchs der großen Halle ging
das Licht aus und die zahlreichen Scheinwerfer brachten dann abwechselnd an den
Wänden und der Decke
ein
unterschiedliches Farbenspektakel zur Geltung. Gleichzeitig ertönte die Stimme
des großen italienischen Startenors Luciano Pavarotti, u. a. „Ave Maria“.
Einen weitereren Höhepunkt bildete die
Besichtigung des Observatoriums. 17 m führte eine Treppe hinauf zu diesem
Tropfsteinturm. Das ca. 6-800.000 Jahre alte Gebilde ist der größte Stalagmit
Ungarns mit einem Gewicht von etwa 800 t. Ein 130 m langer Stollen führt zum
Ausgang der Höhle am Hotel Tengerszem außerhalb von Jósvafö. Wir aßen hier zu
Mittag und wanderten danach über Wiesen, Felder und teilweise auch durch dichte
Hecken acht Kilometer zurück nach Aggtelek. Eine
kleine Gedenkstätte zu Ehren des hl.
Franz von Assisi lud unterwegs zum Verweilen und zum Gebet ein. Am Abend
genossen wir in unserem Hotel das „Wellnessangebot“ mit Sauna und Hallenbad.
9. Tag:
Aggtelek
→ Kelemér
Wegsuche und sterbende
Dörfer
Bei bedecktem Himmel, es blieb aber den
ganzen Tag trocken, liefen wir zunächst zum Eingang der Baradlahöhle neben
unserem Hotel in Aggtelek. Am Vortag hatten wir die Tropfsteinhöhle von Jósvafö
aus besichtigt. Insgesamt gibt es sogar drei Höhleneingänge. Es herrschte reger
Betrieb. Schulklassen warteten neugierig auf den Beginn ihrer Höhlenführung und
auch die Informationsstände und
-tafeln über die Höhle waren gut besucht. Wir marschierten deshalb bald
durch den Ort hindurch weiter. Begleitet wurden wir, wie gewohnt, von dem
heftigen Gebell der vielen Wachhunde aus den Vorgärten der Häuser. Zwei
Kilometer folgten wir dann einer
Teerstraße außerhalb des Dorfes, bevor uns ein großer Eichenwald aufnahm. Mitten
im Wald tauchte schon bald darauf die slowakische Landesgrenze auf und längere
Zeit führte der Weg an ihr entlang. Durch schwere Waldfahrzeuge war der Weg
teilweise stark ausgefahren und verdichtet. Das Regenwasser konnte hier nicht
ablaufen und die morastigen Streckenabschnitte waren manchmal nur mühsam zu
begehen. Nach einer Stunde hörte der Wald auf und von einer Anhöhe aus bot sich
ein herrlicher Anblick auf die umliegenden bewaldeten Täler und Bergrücken. Über
lang gestreckte Bergwiesen mit ebenfalls teilweise schönen Ausblicken kamen wir
weiter zügig voran.
Am Ortseingang von Zádorfalva wohnen
Roma, und eine Gruppe von Männern war gerade dabei, Wegränder und Wiesen um die
Häuser herum zu mähen. Bereitwillig überließen sie mir auf meine Nachfrage hin
eine Sense und ich durfte ihnen kurzzeitig helfen. In einer Gaststätte in der
Dorfmitte machten wir eine Mittagspause.
An einer eingezäunten Weide mit Rindern
und Holzställen vorbei wanderten wir weiter auf Wiesen ein schmales Tal hinauf.
Viele Heckenrosen mit Hagebutten und danach Wald lösten nach zwanzig Minuten die
Wiesen ab. Trotz intensiver Suche in alle Himmelsrichtungen war hier das blaue
Wanderzeichen nirgends zu finden. Eine ganze Stunde lang irrten wir umher. Das
„richtige Näschen“ hatte, wie so oft, unser Wanderführer. Nachdem der Wald
geradeaus durchquert war, zeigte sich am Waldrand wieder das blaue Zeichen.
Traktorspuren führten über brachliegende Wiesen hinunter in das kleine Dorf
Gömörszölös. Hier sagen sich im wahrsten Sinne des Wortes noch Fuchs und Hase
gute Nacht.
Eine alte Frau trieb schimpfend mit
einem Stock einen Hahn und zwei Hühner über die Ortsstraße. Sie sprach uns auf
Ungarisch an und hätte sich wahrscheinlich gerne mit uns unterhalten, aber wir
konnten uns mit ihr, da sie nur ungarisch sprach, nicht verständigen. Ein
Hinweisschild am Ortsausgang des Dorfes informierte darüber, dass die EU mit
finanziellen Mitteln versucht, sterbende Dörfer wiederzubeleben. Durch den Zuzug
oder das Bleiben junger Menschen, denen natürlich eine berufliche Perspektive
geboten werden muss, scheint man z. B. Gömörszölös wieder eine Zukunft zu geben.
Drei Kilometer führten uns dann zu unserem Tagesziel, dem kleinen Ort Kelemér.
Zum Höhepunkt des Tages wurde für uns
das köstliche Abendessen in der Privatpension Bagolvár Fogadó. Die Hausherrin
kochte extra für uns ein typisch ungarisches scharfes Gericht aus Kartoffeln,
Gulasch und Salat. An dieser Stelle möchten wir uns noch einmal bei ihr für das
gute Abendessen bedanken. Mit den Umwegen bei der Wegsuche waren wir heute 26 km
gelaufen.
10. Tag:
Kelemér
→ Putnok
Ziel: Bükk-Gebirge
Ein Blick
auf der Wanderkarte zeigte uns, dass wir an diesem sonnigen Tag rund 30 km auf
sehr vielen Asphaltwegen hätten wandern müssen. Da kam der Vorschlag von unserem
Wanderführer Wolfgang gerade Recht, dass wir die 10,7 km bis zum Ort Putnok mit
dem Linienbus fahren sollten. Die Haltestelle war direkt vor unserer Pension.
Ein weiteres Ehepaar wartete bereits auf den Bus, der pünktlich gegen 9.35 Uhr
kam. In 20 Minuten hatten wir die hektische Stadt Putnok erreicht.
Erschienen in "Mitteilungsblatt" Zeitschrift des Vereins Netzwerk Weitwandern e.V. Ausgabe 34 - April 2011
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