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 am:   23.02.16

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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W a n d e r b e r i c h t e  -  N i e d e r l a n d e

 

 

Inhaltsverzeichnis:    •  Die Niederlande - nahe am Wasser gebaut

                                      Bericht von einer Wanderung im Herbst 2003

                                      Von Lutz Heidemann

 

                                   •  Wandern im Land der Wasser- und Deichbauer

                                      Auf dem Deltapad von Hoek van Holland nach Bergen op Zoom

                                      Von Werner Hohn

 

 

Die Niederlande - nahe am Wasser gebaut

 

Bericht von einer Wanderung im Herbst 2003

 

 

Von Lutz Heidemann

 

In den Hütten in den Alpen und auf vielen Wegen in den Mittelgebirgen kann man wandernde Niederländer antreffen. Wenn eine Nation so aktiv ist, dürften auch im eigenen Land gute Wanderbedingungen herrschen. Von einem dichten Netz in den Niederlanden und speziell vom Pieterspad hatte ich schon gehört. In den Herbstferien 2003 wollten meine Frau und ich eine Woche wandern. Zeit, eine Route auszuwählen und Etappen vorzubereiten, waren diesmal nicht vorhanden. Das war ein Anlaß, das Medium Internet auf seine Tauglichkeit zu prüfen: Auch da haben die Niederländer unter www.wandelnet.nl einen vorbildlichen und einfach zu handhabenden Auftritt produziert. Eine Karte zeigt das Netz. In einer Sonderseite unter www.reisboekhandel.nl sind die spezialisierten Kartenbuchhandlungen aufgeführt. Mit diesen Startbedingungen und am Ende einer sechstägigen Tour können wir sagen, daß die Niederlande ein reizvolles Wanderland sind und es interessierten Wanderern leicht machen, ihr Land aus der Perspektive des Fußgängers kennenzulernen.

 

Wir entschieden uns für die Fachbuchhandlung „De Wandelwinkel“ in Deventer. Die Stadt mit ihrem interessanten historischem Zentrum kannten wir von früheren Ausflügen. Damit war ein Start dort vorgegeben oder mindestens im Wortsinn sehr naheliegend. Obwohl Montag vormittag eigentlich Ruhetag war, wurden wir von dem Buchhändler, der zufällig im Geschäft war, liebenswürdig beraten. Wir kauften die Wegeführer zum „Hanzestedenpad“, einer Verbindung zwischen den Hansestädten Doesburg, Zutphen, Deventer, Zwolle und Kampen und den Führer zum „Zuiderzeepad“, einen etwa 400km langen Rundweg um den Zuidersee, das frühere Ijsselmeer; dazu erwarben wir noch eine Übersichtskarte 1:200.000. Es zeigte sich sofort, daß eine Orientierung und Wegeplanung mit diesen Führern sehr einfach ist. Ihr klarer Aufbau und die guten Übersichts- und Detailkarten erlauben eine schnelle Wanderplanung. Sehr nützlich sind die aufgelisteten Unterkünfte und die Markierung der Hotels und Bed and Braekfast-Anbieter in den Ausschnittkarten.

 

Wir entschieden uns, zunächst entlang der Ijssel bis Kampen zu wandern. In einem Wohngebiet von Deventer, nahe am Fluß und schon etwas außerhalb des Zentrums gelegen, stellten wir unser Auto mit relativ ruhigen Gefühl zwischen andere parkende Fahrzeuge und zogen los. An der Uferpromenade fanden wir in dichter Folge die gelb-rote Wegemarkierung. Bald wurden wir über Weiden auf unbefestigten Wege geführt. Der Blick über die Ijssel, eine richtige Wasserstraße, begeisterte uns. Von dem erhöhten Ufer hatten wir einen weiten Blick über Landschaft und beobachteten die Schiffe. Wenn wir wieder etwas landeinwärts geleitet wurden, geschah das wegen ausgewiesener Reservate am Fluß. Dort sind Rast- und Überwinterungsplätze von Zugvögeln, aber auch so sahen wir große Mengen von Enten, Gänsen und Reihern und viele uns unbekannte Arten.

 

Wir hatten den Eindruck, daß die Wegeplaner interessante Stücke aneinandergereiht hatten. Wir durchquerten mehrmals große Parks und wurden entlang einer Rhododendren-Allee in den Ort Olst geführt. Das im Führer genannte Hotel existierte unter anderen Besitzern nur noch als Restaurant, ein leider nur zu häufiges Phänomen in kleineren Orten. Doch die Bedienung war sehr freundlich und nach einer Reihe von Anrufen hatte sie uns zu einer „Bed and Breakfast-Adresse“ in dem Nachbarort Wijhe verholfen.

 

Die schönen Eindrücke setzten sich in den nächsten Tagen fort. Die durchquerte Landschaft strömt ein Gefühl von Weite und Strenge aus. Das Geometrisch- Künstliche verstärken die sorgfältig gemähten Böschungen an den Wegen und die wie am Lineal gezogenen und mit großen Maschinen gesäuberten Kanäle. Von ferne erkannten wir Kirchtürme, die früher und möglicherweise auch heute noch „Landmarken“ der Schiffer sind, denen wir uns näherten und die wir später hinter uns ließen. Wir wurden an die Bilder der niederländischen Maler erinnert. Wir hatten helles klares Herbstlicht; die Laubverfärbung setzte kräftige Farbakzente. Einmal lag morgens schon dünnes Eis auf den Kanälen.

 

Holland ist ein Land der Fahrräder; die Wanderwege sind häufig deckungsgleich mit Trassen der Fernradwege. Aber es gibt immer wieder Abschnitte, die nur den Wanderern vorbehalten sind – und das sind sehr eindrückliche Strecken. Häufig sind es Kronen von unbefestigten Deichen. Die paar Meter Höhe mehr als die Umgebung erlauben weite Ausblicke. Wir denken gern an einen Abschnitt am „Zwarten Meer“ zurück oder entlang eines vielbefahrenen Wasserweges bei Genemuiden. Weil die meisten dieser Flächen eingezäuntes Weideland sind, müssen die Wanderer sehr oft über kleine Böcke in den nächsten Weideabschnitt klettern. Eindrücklich waren auch die nur Wanderern vorbehaltenen Abschnitte von Naturreservaten, z. B. an ehemaligen Tongruben.

 

Die niederländischen Wege sind vielfach verzweigt und bilden ein dichtes Netz. Man kann gut von einem Weg auf den anderen gehen, wie wir das gemacht haben, als wir ab Kampen auf den Zuiderzeepad überwechselten. In der Örtlichkeit und den Karten in den Führern wird auf solche Verzweigungen hingewiesen. Sehr zu begrüßen ist, daß die Wege bis in die Stadtzentren hineingeführt werden und dort auch oft gut markiert sind. In Deutschland, ob Alpen oder Mittelgebirge, beginnen oder enden Weitwanderwege oft erst in der „Landschaft“. In den Niederlanden erleichtert die häufige Lage von Ortschaften an Wasserwegen bessere Lösungen.

 

Man braucht die „gidsen“ zum Wandern. Man kann nicht wie z. B. in Frankreich nur mit einer Karte auf Tour gehen. Im zweiten Teil unserer Strecke kamen wir auch auf etwas weniger dicht markierte Abschnitte, besonders in Ortschaften. Da brauchten wir die Kartenausschnitte. So weit ich weiß, sind die Wege nicht in den 1: 100.000-Karten eingetragen. Die Führer sind klar und übersichtlich aufgebaut. Bei den Ausschnitt-Karten sind sehr leicht die Wegeentfernungen der einzelnen Abschnitte abzulesen. Die fremde Sprache bildet keine große Hürde.

 

Die Führer enthalten viele Detail-Informationen über Dinge am Weg, z. B. zur Sozialgeschichte. So erfuhren wir, daß Kampen im 19. und frühen 20. Jahrhundert ein bedeutendes Zentrum für die Herstellung von Zigarren war, und beim Gang durch die Stadt bemerkten wir dann noch einige erhaltene repräsentative Fabrikgebäude. Oder von Genemuiden wurde uns berichtet, daß es das Zentrum der niederländischen Teppichherstellung sei, wobei anfangs die lokalen Binsen zu Matten verarbeitet, später eingeführte Kokosfasern und seit einiger Zeit ist Nylon das Ausgangsmaterial. Später kamen wir in eine Gegend, die ihr eigentümliches Bild dem Wärmebedürfnis der Bürger in den „goldenen Jahrhunderten“ verdankte, denn dort wurde der Torf für die vielen Kamine und Herde von Amsterdam abgebaut. Heute wachsen Binsen auf den vertieften Flächen. Man kann die Situation mit ausgekohlten Braunkohletagebauen vergleichen. Es kann nicht ausbleiben, daß man auf einer Wanderung in dem Nachbarland nicht mit deutscher Geschichte konfrontiert wird. An der Außenwand der sehr repräsentativen Synagoge von Kampen erinnert eine Tafel an die umgebrachten jüdischen Mitbürger. Später wurde ein als Vergeltung von deutschen Soldaten zerstörtes Schleusenwärterhaus erwähnt, als im Krieg die Niederländer im Krieg eingedeichtes Land überfluteten.

 

Ab Kampen wanderten wir auf dem rot-weiß markierten Zuiderseepad und konnten den oft kolportierten Spruch, daß Gott Land und Meer geschaffen habe, aber die Holländer Holland, gut nachvollziehen. Stundenlang gingen wir über Deiche entlang von Kanälen, auf denen das Wasser höher stand, als das Niveau der Wiesen auf beiden Seiten war. Nahe Vollenhove folgten wir der Uferlinie einer früheren Insel, wo entlang der einseitig bebauten Straße ein altes riedgedecktes Haus dem nächsten folgte. Hinter Vollenhove wechseln wir auf den Nordost-Polder. Dort sind in 50 Jahren die Bäume hochgewachsen; nur das tellerflache Land ließ erahnen, daß wir auf früheren Meeresboden blickten.

 

Wir Wanderer wurden von Anwohnern oder Entgegenkommenden gegrüßt, wir haben das in keinem anderen Land so intensiv bemerkt. Wir bekamen viele Facetten vom Wohnen der Niederländer mit. Als Deutsche sind wir ja immer fasziniert und irritiert, wie sich holländische Wohnzimmer zur Straße öffnen, wie man, wenn man nicht wegblickt, den Menschen in den Wohn- und Eßzimmern zusehen kann. Wir bewunderten die gepflegten Häuser und insbesondere die schönen Gärten. Weil das Grundwasser so dicht unter der Oberfläche auftritt, sind bei Neubaugebieten oft Kanäle angelegt worden, zu denen die Bewohner der Häuser über Stege und Treppen gelangen können. Beim Hineinwandern entlang eines größeren Kanals in die Stadt Zwolle gingen wir an Dutzenden originell gestalteter Hausboote vorbei.

 

Eine Überraschung war die kleine barocke Festungsstadt Blokzijl. Um einen großen dreieckigen Hafen, der wie ein großer von Bäumen begrenzter Platz wirkt, stehen die alten Häuser. Am letzten Tag wanderten wir durch die Orte Kalenberg und Ossenzijl, deren Häuser auf beiden Ufern eines Kanals aufgereiht lagen. Auf der Seite, wo wir entlang wanderten, begann hinter den Häusern der Sumpf. Die Bewohner konnten größere Gegenstände nur auf dem Wasserweg hinbringen. Zweimal waren wir unterwegs zu Friedhöfen geleitet worden, die auf kleinen Hügeln lagen, um den Toten Hochwasserschutz zu gewähren. Auf einem wurde auf die Inschrift eines 1858 gestorbenen Schulmeisters hingewiesen: „Wanderer, um die Wahrheit zu sagen, das Weggehen kann nicht so schön sein wie das hier Liegen“. Aber auch für Wanderer ist das Ankommen genau so wichtig wie das Wandern...

 

Noch kurz die Angaben für die, die unsere Erfahrungen direkt nachvollziehen wollen:

 

1. Tag (Anreise Gelsenk./ Deventer) Wandern bis Olst 14,0 km (bei

            durchgehender Wanderung bis Wijhe 19,5 km

2. Tag bis Zwolle 20,5 km

3. Tag Stadtbesichtigung und weiter bis Kampen 20,0 km

4. Tag Stadtbesichtigung und weiter bis Genemuiden 18,4 km

5. Tag über Sint Jansklooster und Vollenhove bis Blokzijl 21,1 km

6. Tag Wanderung bis Spanga mit Bus bis Wolvega und Bahn bis Deventer,

            Rückfahrt bis Gelsenkirchen. 14,7 km

Erschienen in "Mitteilungsblatt" Zeitschrift des Vereins

Netzwerk Weitwandern e.V. Ausgabe 12 - Dezember 2003

 

 

Wandern im Land der Wasser- und Deichbauer

 

Auf dem Deltapad von Hoek van Holland nach Bergen op Zoom

 

Von Werner Hohn

 

Diese Holländer, haben die uns doch glatt den Rhein geklaut! Der Gedanke, dass der Rhein seinen Namen nicht bis in die Nordsee mitnimmt, ist mir nie gekommen. Dass der sich teilt, irgendwo sein Wasser an den Lek und noch einen Haufen anderer Bäche abgibt, sich mit der Maas vermischt, hatte sogar ich behalten. Nur so ganz fort... Gar nichts mit Mündung? Tja, da staunte der Rheinländer. Erst als ich am ersten Wandertag mit der Fähre den Nieuwe Waterweg zwischen Rotterdam und dem Europoort überquerte und mich dabei im Wanderbuch doll und dusselig nach dem Rhein suchte, war mir das bewusst geworden. Der Calandkanaal, den nur ein schmaler Deich vom parallel fließenden Nieuwe Waterweg trennt, bot sich noch als Mündung an. Der war es auch nicht. Wenig später, nachdem ich das Städtchen Rozenburg umwanderte hatte, bin ich am Neckarhaven auf den Hartelkanaal gestoßen. Der war nun wirklich zu klein für die Rheinmündung. Nun gut, irgendwo hinter der niederländisch-deutschen Grenze hat der Rhein im Rhein-Maas-Schelde-Delta seinen Namen verloren.

 

 

 

 

 

 

Verwundert war ich da schon nicht mehr, denn dort oben an der holländischen Nordseeküste, im Land der Polder-, Kanal- und Deichbauer hat nicht die Natur das Sagen, sondern die Experten, die genau diese bändigen sollen. Was im Mittelalter mit bescheidenen Deichen angefangen hat, 1939 durch das Rijkswaterstaat (Büro für Verkehr und Wasserbau) gedacht wurde, nach Ende des Zweiten Weltkriegs mit der Fertigstellung des Deichs der die Brielse Maas vom Meer trennt, seine modernen Anfänge genommen hat, ist nach der großen Sturmflut von 1953 auf offene Kassen und Ohren gestoßen. Die Niederländer haben ihr Land dicht gemacht. Und das richtig. Nie wieder sollte die Nordsee ins Land einsteigen. Nie wieder! Die erforderliche Deichhöhe wurde von etwas über 4 Meter auf 7,65 Meter über dem Normalstand des Amsterdamer Pegels festgelegt. Wo keine Deiche gebaut werden konnten, oder aus wasserbau- und verkehrstechnischen Gründen Zugänge zur Nordsee erforderlich waren, haben die Holländer Schleusen und bewegliche Tore gebaut. Darunter solch gigantische wie die beiden schwimmenden Tore des Maeslantkering, die bei drohender Sturmflut Rotterdam von der Nordsee trennen, indem sie in den Nieuwe Waterweg einschwimmen und diesen verrammeln. 1996, mit dem Bau des Maeslantkering waren die Bauarbeiten an den Deltawerken nach mehr als 30 Jahren endgültig abgeschlossen. Der Deltaplan konnte geschlossen werden. Seitdem ist Holland dicht. Zeeland hat sich zu einem beliebten Urlauberziel entwickelt und die Wassersportler freuen sich über ausgedehnte Binnenreviere. Der Preis dafür: Beton, Beton, Beton und jede Menge Technik, die oft unsichtbar bleibt.

 

Weil die Niederländer Menschen sind, die gerne wandern, - wer einmal im Sauerland wandern war, wird dies bestätigen – war zwischen, hinter und auf all den Wunderwerken der Deichgrafen auch noch Platz für einen Weitwanderweg, den Deltapad. Der gehört zum ausgedehnten System der Lange-Afstand-Wandelpaden (kurz: LAW) und trägt die Nummer LAW 5-1 und gehört somit zum Hollandse Kustpad, der, was sonst!, die komplette Küste erschließt. Damit ist der Deltapad ebenfalls Teil des E9 (Europäischer Küstenpfad) und mit seinem Ableger ins Landesinnere der Anfang des E2 auf dem Kontinent, der erst am Mittelmeer endet.

 

Die 180 km lange Hauptroute des Deltapads verläuft von Hoek van Holland entlang der Küste vorbei an so bekannten Ferienorten wie Renesse, West-Kapelle und Cadzand-Bad bis Sluis an der belgischen Grenze. In Goedereede beginnt die Variante ins Binnenland, die zur Oosterschelde führt und nach 60 km in Bergen op Zoom endet, wo der Deltapad in den GR5 übergeht.

 

Die Orte an der Variante ins Landesinnere sind weniger bekannt.

 

Herkingen kennen vielleicht einige Familien, weil sich ihre Kinder auf dem kinderfreundlichen Campingplatz - eigentlich ist das Bolz- und Spielplatz in einem – austoben können. Nieuw Vossemeer ist nur Holländern ein Begriff, weil hier der Schriftsteller Adrianus Michiel de Jong geboren wurde, der eine Zeit lang sogar in den Niederlanden wegen seine sozialistischen Einstellung Publikationsverbot hatte. Im Alter von 55 Jahren ist De Jong 1943 von der deutschen SS auf der Schwelle zu seinem Haus erschossen worden. Ein kleines Museum und ein kleines Standbild von Merijnte Gijzen, seiner bekanntesten Figur, stehen heute auf dem verlassenen Marktplatz von Nieuw Vossemeer. Das sind auch schon die bekanntesten Orte am holländischen E2. Alles Orte die außerhalb der Landesgrenze so gut wie kein Mensch kennt. Einzig Bergen op Zoom mit seinem schönen Grote Markt ist Ziel ausländischer Urlauber.

 

In der ersten Augustwoche 2010 war ich im Morgengrauen in Hoek van Holland gestartet. Natürlich am Nordseestrand, nicht am Hafenbahnhof, wo der Deltapad eigentlich beginnt. Nordsee muss schon sein. Schon vormittags war mir der Verlust des Rheins aufgefallen. Mittags lag der Rotterdamer Hafen hinter mir, ohne viel von ihm gesehen zu haben. Nix, aus der Nähe und eben der Neckarhaven, der extra für Flusstankschiffe gebaut wurde, damit die stressfrei und ohne den Ozeanriesen in die Quere zu kommen, ihre Bäuche mit Öl füllen können. Spätestens da war aus meiner Vermutung, der Weg würde oft auf Radwegen verlaufen, Gewissheit geworden. Und dass ich in den kommenden Tagen einiges an holländischer Wasser- und Deichbaukunst zu sehen bekommen würde, war abzusehen.

 

Das war dann auch so. Statt Blicke in liebliche Täler oder über sonnige Höhen oder verträumte Landschaften gab es Aus- und Einblicke in Wasserbautechnik. Auf dem langen Weg über die Haringsvliet sluisen hatte ich mir den ersten Sonnenbrand geholt. Vom Grevelingendam wollte mich der Wind runter wehen, der wenig später auf dem Philipsdam zum kräftigen und dankbar angenommen Schiebewind wurde.

 

Dazwischen die Nordsee, oft weit weg, und immer wieder ausufernde Binnengewässer mit Booten, von denen im Gegenlicht der Mittagssonne nur eine zittrige Silhouette blieb. Wenn der Wind stark genug wehte, sausten die Zugdrachen der Kite Surfer durch den sommerlichen Himmel, während ein paar Meter weiter unten die kurzen Bretter schäumende Spuren durchs Wasser zogen.

 

Umdrehen, Markierung suchen. Ja, da am Laternenmast. Weiter. Einmal unter einer Brücke hindurch, flott übern Kreisverkehr abgekürzt, mit einem Radweg eine kurze Böschung hinauf. Den Weg durch die Wiese soll ich nehme, sagt die weiß-rote Markierung. Ein kleiner Wald, ein dunkler, zugewachsener Bach, der in einen stillen Kanal mündet, an dessen Ufer sich winzige Bootshäfen unter grünen Bäumen und hinter noch grüneren Wiesen verstecken. Dann wieder

    Beton, asphaltierte Radwege neben so gut wie nicht befahrenen breiten, makellos glatten

    Straßen.

 

Zwischen den Dörfern aus dem Schnellbaukasten für Schlafsiedlungen finden sich so erfreuliche alte Nester wie Brielle oder Goedereede, die mit ihren Grachten und Brücken, ihren dunklen Ziegelhäusern und Windmühlen sowie dem calvinistisch zur Schau gestellten Innenleben der Wohnzimmer dem Hollandbild des urlaubenden Wanderers sehr nahe kommen.

 

Natur gab es auch, wenn auch wohldosiert und so gut wie immer von Menschenhand geschaffen und geordnet. Also kein Überlebenskampf in schwindelerregenden Höhen, keine Mutprobe an Graten, kein Kampf gegen das Wetter, von wilden Tieren ganz zu schweigen.

 

In den Duinen van Voorne kann man sich verlaufen, was mir dort auch passiert ist. Zur Entschuldigung muss die dort, - aber wirklich nur dort - sehr schlechte Markierung herhalten. In den Dünen wäre es besser gewesen, der gut ausgeschilderten Voorne Route zu folgen. Was soll's? Wie noch mehrmals auf dieser Wanderung hatte einer der hier überwältigend gut markierten Radwege mich zum Ziel gebracht. Der einzige heldenhafte Kampf war der gegen den lockeren Sand und den Wind am gottverlassenen Strand zwischen Rockanje und der N57. Dort hatte ich so geflucht, dass, hätte mich ein Holländer gehört, bestimmt des Landes verwiesen worden wäre. Zum Glück war niemand da.

 

Das Wetter an der Küste war so wie das Sommerwetter an der Nordseeküste immer ist. Jagende, vom steifen Wind getriebene Wolken. Mal weiß, mal grau. Wenn es gut war, das Wetter, dann jagten die Wolken unter blauem Himmel dahin und die Wolken waren weiß. War es weniger gut, dann war der Himmel grau, Wolken verhangen, düster und kalt. Am Mittelmeer würde man zu solchen Tagen Wintertage sagen. Wenn die Sonne am blauen Himmel stand, der steife Wind aus Norden wehte, Segelboote mit dem Süllrand durchs Wasser pflügten, die Lippen salzig schmeckten und einem der Sand ins Gesicht geweht wurde, dann war das  Nordseesommer von der allerschönsten Seite – und wenn es nur Stunden durchhielt.

 

In Goedereede, das ist nach einem Drittel der Küstenroute, bin ich ins Landesinnere abgebogen. Die Variante nach Bergen op Zoom sollte es auf alle Fälle sein. Das ist der Europäische Fernwanderweg E2. Ab da wurde es ländlicher und sommerlicher. Bevor der Deltaplan Wirklichkeit wurde, war das, was nun folgen sollte, offene Küste, die von niedrigen Deichen geschützt wurde. Bis auf die Grasdeiche ist heute vom offenen Meer nicht mehr so arg viel zu merken. Dauernd hatte ich das Gefühl, an einem großen See vorbei zu wandern. Grüne Wiesen, Grasdeiche, Hecken, Bauernhöfe und später die Flussschiffe auf dem Schelde-Rijn Kanaal hatten nur noch wenig mit Meer und Küste zu tun. Die Landschaft änderte sich von „meerig“, „küstig“, nordseeig“ zu landwirtschaftlich. Schlagartig.

 

Eine Runde durch Goedereede, einen Pott Kaffee am Marktplatz, fünf Schritte über den Noordhavendyk, dann in den Oude Westerloose Dyk abbiegen. Szenenwechsel: Zwiebelfelder, Raps, Ackerflächen. Das war es. Die Nordseeküste war weg. Rein in die Slikken van Flakkee (Dünengrasland), die im Wanderbuch einen eigenen Infokasten haben, folglich nicht ohne sind. Eine Stunde übern Grasweg mit mannshohen Gestrüpp links und rechts. Langeweile. Hier fährt nie ein Traktor, greift der Mensch nie ein, nur der Weg wird regelmäßig gemäht. Den Rest hält eine widerstandsfähige Rinderrasse in Schach. Natur ungefiltert. Was für eine Erlösung, als der Radweg am Bouwdijk auftauchte. Endlich wieder freie Sicht übers Land. Die nächsten 30 Kilometer sollte das so bleiben. Deichwege ohne Ende, nur ohne das Gefühl am Meer zu sein. Mal zugewachsen, mal vom Bauer so unmissverständlich mit dicker Kette, einem Schloss und zerstörter Übersteighilfe blockiert, dass ich freiwillig auf das selten fehlende Teersträßchen daneben ausgewichen bin.

 

Ein langer, langer Weg, der nicht enden wollte, von Herkingen über den Deich bis zum Grevelingendam. Wieder ein langer Weg, ein noch viel längerer Weg, zunächst in einer sanften Linkskurve, dann in einer unendlichen Rechtskurve über den Philipsdam. Immer neben der N257, die kaum befahren wurde.

 

Eine Gruppe holländischer Rentner hatte mich auf dem Philipsdam angesprochen. Die waren mit dem Rad unterwegs. Eine Frau sogar mit einen Elektrofahrrad, womit sie allen Männer an der kaum wahrnehmbaren Steigung davonzogen war. Sie machten an einem der vielen Rastplätze Pause.

 

 

 

 

 

Woher und wohin? Ei, aus Deutschland, das zu Fuß. Warum hier. E2? Deltapad? Nie gehört. Guten Weg noch, und ich soll mir ein Fahrrad kaufen. Bei der Windrichtung heute, würde der schieben.

 

Auf den allerletzten Kilometern, schon in der Innenstadt von Bergen op Zoom, sprach mich erneut ein Radfahrer an. Ein alter Mann, dem im Gegensatz zu seinen Altersgenossen vom Vortag ohne Frage klar war, dass ich auf dem Deltapad unterwegs war. Eine eher ungewöhnliche Ecke für einen deutschen Wanderer, meinte er, nachdem er mich nach Markierung und Wegverlauf ausgefragt hatte. Der kannte den Weg wie seine Westentasche. Ach so, Wanderer hatte ich keine getroffen, Radfahrer schon, jedoch bei weitem nicht in der erwarteten Masse.

 

Die Campingplatzbetreiber kennen den Weg auch. Weniger auf den Plätzen entlang der Küste, diese rekrutieren ihre Gäste aus den nicht enden wollenden Zahl der Dauercamper und der Urlauber. Es sind eher die Platzbetreiber am Südzweig des Deltapads, bei denen Wanderer auffallen. Angeblich hält der letzte Platz vor Bergen op Zoom in Nieuw Vossemeer extra für Wanderer mit Zelt ein einziges kleines Plätzchen frei. Diese Version wollten mir die Dauercamper auf dem Platz weismachen, als ich auf der Miniparzelle zwischen ihren „Holzzelten“ mein Zelt aufgebaut und meine Wäsche zum Trocknen über Nachbars Zaun gehängt hatte. Meine Vermutung, dass die Platzleitung für das 3 mal 4 Meter Parzellchen keinen Pächter findet, dürfte den Nagel auf den Kopf treffen.

 

Der Kocher ist die vier Tage im Rucksack geblieben. Kaffee und das sehr gut komprimierbare holländische Brot gibt es an jeder Ecke. Und gegessen wurde was es am Wegrand gab. Mal Fisch, dann wieder diese holländisch-belgische Errungenschaft namens Frikandel. Frikandel normaal,  Frikandel speciaal, Frikandel javanese, alles flämische Spezialitäten aus gemahlenem Fleisch, Gewürzen und Geschmacksverstärkern. Mit einer großen Portion Pommes, Mayo und Ketchup und eine Literflasche Wasser rutscht die faltige, nach Plastik und allen Genlaboren der Welt aussehende Wurst sogar den Hals runter.

 

In der nordbrabantischen Stadt, kurz vor der Grenze zu Belgien, war nach 120 km und 4 Wandertagen Schluss. Eigentlich ein wenig zu schnell, dann wiederum nicht, denn ursprünglich sollte es noch ein paar Wochen weiter nach Süden gehen. Leider hatte mir die Gesundheit einen kleinen Streich gespielt. Aber was nicht ist, kann man schließlich nachholen.

 

Der Deltapad von der praktischen Seite

 

Das Buch „Deltapad - Deel 1 van het Nederlandse Kustpad“, gibt es bei der Stichting Wandelplatform-LAW (www.wandelnet.nl). Deutsche Buchhändler (sogar Spezialbuchhandlungen) und der einschlägige Internethandel brechen sich einen ab, wenn sie das Buch aus Holland besorgen sollen. Einfach, flott und freundlich läuft das ab, wenn man direkt im Internetshop der Wandelplatform bestellt. In der Regel wird das Bestellformular die Bestellung nicht annehmen (deutsche PLZ). Eine freundliche E-Mail mit den Buchwünschen löst dieses Problem. Es hatte nur wenige Tage dauert, bis Buch und Rechnung bei mir im Briefkasten lagen.

 

Im Buch finden sich Kartenausschnitte 1:25.000, jeweils eine Wegbeschreibung für jede Gehrichtung (natürlich auf niederländisch), touristische Hinweise, ein Unterkunftsverzeichnis, usw.

 

Die 25.000-er Karte ist eine hochkopierte 50.000-er, folglich fehlen die Details, die man von Karten des größeren

Maßstabs kennt. Macht nichts, geht auch so ganz gut.

 

Pennen:

 

Wie oben erwähnt enthält das Buch eine Unterkunftsliste. Für die Strecke entlang der Küste sind nur ein Bruchteil der möglichen Übernachtungsorte aufgeführt. Die Küste ist Touriland, Unterkünfte gibt es in Hülle und Fülle. Wer Campingplätze bevorzugt wird ebenfalls fündig werden. Auch bei denen gibt es ein paar mehr als im Buch aufgeführt.

 

Auf der Strecke runter nach Bergen op Zoom sieht das etwas anderes aus. Ausgesprochenes Touristengebiet ist das nicht und wer nicht mit Zelt auf Campingplätze ausweichen will, sollte sich vorher nach Alternativen erkunden.

 

Wenn, dann da:

 

Wer mit dem Gedanken an eine Wanderung auf dem Deltapad spielt, sollte die Küstenvariante ins Auge fassen. Und das in der Gehrichtung von Vlissingen nach Hoek van Holland, oder eine Teilstrecke davon. Obwohl ich die Strecke zwischen Vlissingen und Goedereede nicht kenne, lässt ein Blick ins Buch vermuten, dass dieser Teil eindeutig schöner ist als die Route nach Bergen op Zoom. Vlissingen ist ganz einfach per Bahn zu erreichen und die Rückreise ab Rotterdam ist auch keine Mars-Expedition.

Fotos: Werner Hohn

 

Erschienen in "Wege und Ziele" Zeitschrift des Vereins

Netzwerk Weitwandern e.V. Ausgabe 33 - Dezember 2010

 

 

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