Bergauf & bergab durch Slowenien

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Dem Fleckerlteppich unserer bisherigen Wanderungen durch Europa wollten wir wieder mal ein schönes Stück hinzufügen. Den Mittenteil des Nord-Süd-Weitwanderweges E5 – Ostsee-Wachau-Adria hatten wir größtenteils schon intus, der südliche Abschnitt fehlte noch und lockte daher entsprechend.

So sollte unsere jährliche Weitwanderung diesmal in Eibiswald in der Untersteiermark beginnen und uns quer durch Slowenien, nach Rijeka an die sonnige Adria führen. Was einen normalen Zeitgenossen zu solch eintöniger Schinderei bewegt, wird man des öfteren gefragt. – Einfach tagelanges Dahingehen in Gegenden wo rein gar nichts los ist und dies häufig auch noch bei Schlechtwetter ?!?!

Hier der Versuch einer Antwort, vor allem meiner persönlichen Antwort: Ganz vorne zu nennen ist bei mir die Liebe zur Bewegung, zum Gehen, zum Gehen in die Weite, ohne Zeitdruck, in völliger Freiheit, ohne kurzfristige Wiederkehr. Das Überwinden von Schwäche und kleinen Wehwehchen mit gleichzeitiger Zunahme von Robustheit wird nach 1-2 Tagen immer wieder zu einem guten Gefühl. Ganz wichtig ist natürlich auch die Naturliebe, das intensive Schauen in der Langsamkeit des Gehens. Viele der Wege kann ich noch in Gedanken nachgehen, all die Bergwiesen, Wege, Steige, Gehöfte und Marterln, ich sehe noch die Blumen und die Bäume.

Wie intensiv kann man Übergänge erleben:

• z.B. die Zunahme von Wärme auf dem Abstieg vom Waldviertel ins Donautal.

• Die allmähliche Änderung der Vegetation vom Fichtenwald über den Laubwald zu den Weingärten oder von satten grünen Wiesen hin zu verkarsteten Regionen.

• Die allmähliche Änderung von Baustilen, von Bauernhöfen und Kirchen.

Freude bereiten auch immer wieder die Begegnungen mit Menschen, wobei in der Abgeschiedenheit auch die kleinen Dinge mehr Wichtigkeit bekommen. Wir haben schon viel Nettes erlebt, wenn wir verschwitzt oder durchnäßt daherkamen und nach Weg oder Quartier fragten. Überhaupt ist das Ganze eine gute Methode, fremde Gegenden und Länder intensiv kennenzulernen, sozusagen von innen her.- Meine typisch österr. Vorurteile gegen die Italiener habe ich erst durch unsere 2 Wanderungen in Ligurien abgelegt, sie sind dort irgendwo hängengeblieben. Auch die leiblichen Genüsse sollten hier nicht vergessen werden.- Nach 8 Stunden bergauf und bergab zischt jedes Bier optimal und den Bauch darf man sich auch ohne Reue vollschlagen. Nicht zuletzt ist das jährliche Wiedersehen eine schöne Sache. Das erste Abtasten das wieder vertraut werden, der alte Schmäh, die Abende in der Hütte oder der Kneipe.

Sa, 4.7.98: München-Hallein-Eibiswald-Radelje

Sepp und Christian sind schon ganz früh unterwegs. Fast zu pünktlich tauchen sie kurz vor 7.00 bei mir in der Rehhofsiedlung auf und ich gerate in eine ungewollte Hektik, da ich mit dem Packen noch nicht ganz fertig bin. Immer dieser Entscheidungsstreß. Mitnehmen oder nicht, kein Gramm zuviel bitte, aber fehlen sollte auch nichts! Sepps Sportwagen bekommt für 1 Woche einen Ehrenplatz in der Garage und Maria bringt uns zum Halleiner Bahnhof. In Graz heißt es dann Umsteigen und mit der Lokalbahn geht´s gemütlich weiter bis zum Bahnhof Wies-Eibiswald. Was wir leider nicht wußten, ist die Tatsache, daß es von Wies bis Eibiswald ca. 5 Straßenkilometer sind. Kurz bevor wir uns etwas widerwillig auf den Weg machen, es ist immerhin schon früher Nachmittag und wir haben noch die Etappe bis Radelje vor uns, entdecken wir einen Kleinbus, der uns nach Eibiswald bringt. Nachdem der freundliche Fahrer unseren weiteren Weg kennt, will er uns unbedingt auf den Radelpaß fahren. Wir lehnen dankend ab und machen uns auf die Suche nach der ersten Markierung. Es dauert ein bißchen bis wir sie finden und schon sind wir auf dem Weg in die Abgeschiedenheit des steirischen Grenzlandes. Es ist ein schwülwarmer Sommertag, das Gehen ist wie immer zu Beginn etwas mühselig und irgendwann fallen auch einige Regentropfen. Die Grenze oben am Paß erweist sich, entgegen vorheriger Bedenken, als lockere europäische Innengrenze. Der slowenische Zöllner schaut kaum unsere Pässe an und wünscht uns freundlich eine schöne Wanderung. Ich mache noch kurz Ordnung in meiner Geldtasche, Schilling weg und Tolar rein, und schon führt uns die Straße bergab Richtung Radelje. Daß es bis dahin nur ein kurzer Spaziergang würde, erweist sich als erster Irrtum dieser Wanderung. Zuerst übersehen wir eine Abzweigung von der Hauptstraße und müssen daher ein gutes Stück bergauf zurücklaufen. Der Güterweg führt uns nun durch Wald- und Weideland ostwärts, bergauf. Die Markierungen (ein kleiner, gelber Kreis mit rotem Mittelpunkt) sind ziemlich verblaßt und auch selten angebracht. Der Weg zieht sich endlos ostwärts und will und will nicht runter in`s Tal. Ich ärgere mich immer mehr und natürlich haben wir uns, trotz größter Vorsicht, auch schon wieder verlaufen. Zum Teil gehen wir nach Gefühl querfeldein und bergab, treffen wieder auf Markierungen, verlieren sie wieder, fragen die wenigen Menschen die uns begegnen und landen dann so gegen 18 Uhr am Zielort. Im Kern wirkt Radelje noch ziemlich unverfälscht steirisch-alpenländisch, nur wenige „Betonsilos“ erinnern an die jüngere Vergangenheit.

Nach einigem Herumlaufen finden wir Quartier in einem ganz passablen Gasthof. Zum Abendessen wird an unserem Tisch ordentlich aufgetafelt. Es gibt Fisch, Kalamaris, Beef Stroganoff und auch einige „Zlatorog“, das heimische Bier.

Danach schlendern wir im Ort umher. Gleich neben dem Wirt spielt im Freien eine Kapelle slowenische Volksmusik und in den Bars laufen die Fernseher. In einer davon bleiben wir hängen und verfolgen das WM-Spiel Deutschland-Kroatien. Leider kein Erfolgserlebnis für uns und die Deutschen, aber die Einheimischen in der Bar trösten uns eher. Wir bekommen Einblick in die hiesige Sympathielage, denn ein kleiner, drahtiger Slowene erklärt uns, daß hier keiner den Kroaten den Sieg gönnt.

So, 5.7.: Radelje-Mala Kopa-Letalise

Nach einigem Warten bekommen wir ein gutes Frühstück, bezahlen das nicht gerade billige Quartier und machen uns auf den Weg. Wir wissen aus unserem Führer, daß es kein kurzer und angenehmer sein wird. Wir durchwandern ausgedehnte Wiesen und überqueren dann die Drau, die hier schon ein ganz ansehnlicher Fluß ist. In Vuhred, einem kleinen Bauerndorf, irren wir etwas hin und her und finden schließlich den schlecht markierten Weg, der uns mitten durch einen verhüttelten Bauernhof, am gefährlich an der Kette zerrenden und kläffenden Hund vorbei, in den Wald führt. Wie immer empfinde ich es als schön, wenn die Menschenlandschaften verschwinden und wir in die Stille einer größeren Waldlandschaft eintauchen. Es geht nun stramm bergauf, wir verfallen in unseren monotonen Gehrythmus, jeder seinen Gedanken nachhängend. In Sveti Anton, einem romantischen Bergkirchlein, legen wir die erste Jausenpause ein. Während wir unsere Brote und Drinks einnehmen tauchen einige Autos auf und die Insassen, meist ältere Menschen mit ernsten Gesichtern, eilen der Kirche zu. Eine Weile noch genießen wir den Blick in das Drautal und das weite Bergland ringsum und verlassen dann diesen irgendwie verwunschen wirkenden Ort.

Leider führt uns der Weg zuerst wieder ein schönes Stück bergab, dann einen weiten, leicht steigenden Bergrücken entlang durch Wiesen und Bauernland. Bei einem der letzten Gehöfte läuft uns ein junger, aber ziemlich großer Schäferhund zu. Zuerst haben wir unseren Spaß mit ihm, als wir ihn jedoch nach einiger Zeit heimschicken wollen, haben wir gegen ihn keine Chance. Er hat uns offensichtlich ins Herz geschlossen und bleibt uns treu. Bei Weggabelungen, die hier entweder schlecht oder gar nicht markiert sind, bleibt er jedesmal kurz stehen, sieht sich nach uns um und läuft dann entschlossen in eine der Richtungen weiter. Der reinste Gratisführer! Wir folgen ihm schließlich fast schon in blindem Vertrauen. Weiter oben queren wir mehrmals Schipisten und treffen dann auf eine Gruppe Italiener die einen Ost-West-Weitwanderweg verfolgen. Irgendwo muß hier der Gipfel der Mala Kopa sein. Wir folgen unserem Hund und kommen daher ohne erfolgreichen „Gipfelsturm“ zur Hütte „Partizanski Dom“-Seehöhe ca.1500m. Macht uns aber nichts aus, denn das Wetter ist ohnehin naßkalt und unfreundlich. Wir jausnen, holen uns ein Bier aus dem „Partisanenhaus“ und gehen nach einiger Weg-Fragerei wieder weiter. Der Hund läuft schon wieder mit und wir werden nun ziemlich energisch um ihn loszuwerden. Wir reden mit den Hüttenwirten, drohen ihm, teilen uns in 2 Gruppen um ihn zu verwirren, etc. Irgendwann ist er dann gottseidank nicht mehr bei uns. Apropos Partisanen! Für Sepp`s und Christian`s anfängliche Vorbehalte gegen Slowenien erfahre ich handfeste Gründe. Christians Vater kam als Kriegsgefangener hier um und liegt in einem Grab in Marburg, das er auch schon mit seiner Mutter besuchte. Ein Onkel von Sepp kam ebenfalls irgendwo in diesem weiten, zerklüfteten Land ums Leben. Keiner weiß wo und wie! Ach, Europa, deine unselig-tragische Geschichte! Wie viel unnötiges Leid!

Der Weg bergab zieht sich und wir verlaufen uns auch mehrmals. Als wir nach einiger Zaunkletterei den Talboden erreichen, merke ich, daß ich meine Jeanskappe verloren habe. Angesichts meiner schütteren Haarpracht mit der latenten Gefahr eines Sonnenbrandes ist dies ein unersetzlicher Verlust und ich gehe angefressen zurück um sie zu suchen. Ich finde sie nicht und plage mich also unter und über mehrere elektrischen Weidezäune retour nach unten. Sepp und Christian sind auch nicht am vereinbarten Platz. Verärgert gehe ich ihnen nach und hoffe, daß ich auf dem richtigen Weg bin, denn das ist auch nicht ganz klar hier.

Knapp nach einem Hof vernehme ich plötzlich ein heftiges Flattern und Rauschen und empfinde einen starken Schlag in der linken Kniegegend. Ich greife hin und sehe eine Hand voll Blut, gleichzeitig merke ich, daß ich immer noch von einem stinknormalen Hahn angeflogen werde. In meiner ersten Wut möchte ich den immer noch wie wild angreifenden Hahn zertreten, doch ich beschränke mich letztlich auf mittlere Abwehrtritte, da ich mich von den Höfen ringsumher beobachtet fühle. Humpelnd hole ich nun Sepp und Christian ein und habe das Gefühl ernstlich verletzt zu sein. Ich wasche mich im nahen Bach, Christian desinfiziert die „Wunde“, ein kleines rundes Loch. Die beiden haben natürlich eine Mordsgaudi! Toni, das Opfer eines slowen. Kampfhahnes! Wie ich jetzt erfahre, hat Christian, unser Naturexperte, den Hahn vorher wild gemacht. Wie dem auch sei, wir ziehen weiter um diesem nun schon ziemlich langen Wandertag ein Ende zu bereiten. „Letalise“ auf unserer Wanderkarte ganz dick eingezeichnet, müßte eigentlich schon da sein. Wir fragen mehrmals und werden immer wieder in eine Richtung geleitet, wo es so gar nicht nach Ortschaft aussieht. Letalise entpuppt sich nach der ausgedehnten Schlußhatscherei als kleiner Sport-Flughafen mitten in der Einsamkeit. —Unser Plan läßt Unterschiede zwischen Orten und diversen anderen Sehenswürdigkeiten nicht wirklich erkennen! Mit Mühe und Not bekommen wir hier ein Quartier, eine winzige Blockhütte im Wald mit genau 3 Betten und einem klitzekleinen Waschraum. Für ein Abendessen müssen wir auch 3-mal nachfragen, schließlich gibt es aber doch ein Gulasch – aus der Dose, aufgewärmt! Bier und Wein haben sie gottseidank genug hier! Der Schlaf im kleinen Hüttlein ist nicht optimal, wir kämpfen wohl alle 3 mit der stickigen Luft und den wechselnden Schnarchgeräuschen.

Mo, 6.7.98: Letalise – Sleme

Das Frühstück bekommen wir etwas spät, denn die „Camp-Lady“ kurvt erst so gegen 8h45 mit ihrem Kleinwagen auf, dafür ist es dann aber ganz gut. – Kaffee, Semmeln, Wurst, etc. Solchermaßen gestärkt starten wir in den jungen Tag. Es dauert mal wieder, bis wir an einer Scheune die erste blasse Markierung finden. Nach wenigen Kilometern schöner Wiesenwege verlieren wir sie aber schon wieder. Vor der Ortschaft Smiklavz folgen wir leider den 3 weißen Querstrichen, die unsere gelb-roten Punkte bisher fast immer treulich begleiteten, auf schönem Fahrweg in einen lichten Wald. Irgendwann ist dann alles weg, kein Weg, keine Markierungen, und wir laufen einfach nach Gefühl weiter, da wir keine Lust zur Umkehr haben. Wir queren einen Bach, klettern auf steilen, rutschigen Böschungen herum, wandern ziemlich lange eine schmale Landstraße entlang und landen schließlich in Podolje, einem Ort, der nicht direkt an unserer Route liegt. Von hier aus gibt es 2 Wegvarianten zum E6, erfahren wir von mehreren netten Leuten im Dorf. Eine lange Asphalthatscherei direkt nach Razbor oder einen kürzeren Weg über den Paß. Wir entscheiden uns für den Paß und ziehen halt mal wieder los. Tatsächlich treffen wir oben dann auf unsere Markierungen, was doch jedesmal wieder eine kleine Freude ist. Der Weg nach Razbor zieht sich dann allerdings endlos durch offenes Bauernland einen Bergrücken entlang. Vor allem führt uns der Weg zurück, Richtung Nord-Ost, und das stört! Wo wir hinsollen (S-W) klafft ein gewaltiges Tal, tief und breit. Immer wieder zweifeln wir an der Richtung! Aber es hilft nichts, wir können das trennende Tal nicht queren, sondern müssen es über den hintersten Talschluß umgehen. Die Landschaft selbst ist sehr schön. In der Ferne tauchen immer wieder mächtige Gebirgsstöcke auf, die näherliegenden Bergspitzen sind häufig von idyllischen Kirchen oder Kapellen gekrönt. Über all dem ein weiter, leicht bewölkter Himmel, warme Sommerluft und absolute Stille. Die endlose Hatscherei wird uns durch ein Überangebot an reifen, dunkelroten Kirschen versüßt, die uns mundgerecht von unzähligen Kirschbäumen längs des Weges anlachen.

Razbor (900m Seehöhe) durchwandern wir, weil wir keinen geeigneten Ort für eine Rastpause finden. Das soll ja schließlich Stil haben. Diesen Ort finden wir erst einige km weiter. Ein schöner Bergbauernhof mit Tisch und Bank unter einem riesigem Laubbaum und wunderbarer Fernsicht. Die Bauersleute grüßen recht freundlich und zeigen uns den Brunnen wo es herrlich frisches Wasser gibt. Wir jausnen hier ausgiebig und lassen unterdessen unsere durchschwitzten T-Shirts am Gartenzaun trocknen. Anschließend durchwandern wir auf 1130m Seehöhe die „Ciganija“. Es ist dies die Wasserscheide zwischen Kärnten und der Steiermark. So gegen 15h erreichen wir schließlich das Etappenziel Sleme, eine Mischung aus Gasthaus und Berghütte, inmitten einer weiten Wald- und Berglandschaft. Bis Morzirje wäre kein Quartier mehr zu haben, erfahren wir vom Wirt, und so beschließen wir hierzubleiben.

Unser Zimmer ist ein wenig spartanisch, es gibt keine Brause und vor allem auch kein warmes Wasser. Aber was soll`s, wir freuen uns auf gutes Essen und Trinken. „Gulasch gibt es“, erklärt uns der Wirt. Wir sehen aber noch 2 andere Töpfe am Herd und wollen wissen, was da drinnen köchelt. - Gulasch hatten wir schließlich gestern bereits! Es gibt aber kulinarische Sprachprobleme! Der Wirt winkt plötzlich etwas entnervt ab, verschwindet in seiner Küche und erscheint gleich wieder mit allen 3 Töpfen an unserem Tisch und wir sehen auch gleich was drinnen ist. Man glaubt es nicht!!! Drei mal Gulasch?! Ein Topf Gulaschsuppe, ein Kuttelgulasch und eine Art Szegedinergulasch mit großen Bohnen. Sepp ist ein wenig pikiert, einfach nicht die feine englische Art. Da wir aber einen Mordshunger haben, hauen wir doch ordentlich rein in unsere 3 Gulaschtöpfe, wobei der Kutteltopf am wenigsten geleert wird.

Später sitzen wir vor dem Haus auf der Terrasse, genießen die schöne Fernsicht und reichlich auch den Wein. Hier werden wir Zeugen der sonderbaren „Tierliebe“ unseres Wirtes. Er prügelt sein kleines Hündchen, mit dem wir eben noch spielten, wegen eines nichtigen Vorfalles in einen alten Schuppen. Wir hören den Kleinen noch lange winseln. Unser Wirt, immer für eine Überraschung gut, wird plötzlich sehr nett. An der Bar gibt es für uns eine umfangreiche, gratis Schnapsverkostung. Sie schmecken nach Latschen und allen möglichen Alpenpflanzen und ich befeuchte mehr die Zunge, als daß ich wirklich trinke. Trotzdem komme ich etwas angesäuselt in`s Bett. Sepp und Christian geht es, glaube ich, ähnlich.

Di, 7.7.98: Sleme - Maria Creta

Wir sind schon etwas früher unterwegs als gestern und es kündigt sich ein schöner Wandertag an. Auf weichen Waldwegen geht es leicht bergab. Weiter unten besichtigen wir eine Grotte, die auch in unserem Führer erwähnt ist. (Funde aus dem Tertiär). Anschließend wandern wir durch schluchtartiges Gelände talauswärts. Allmählich tauchen auch wieder vereinzelt Häuser und Gehöfte auf und überall werden wir von wild kläffenden Hunden begrüßt und verabschiedet. Nach ausgiebigem Anstieg sind wir wieder mal auf einem höheren Bergrücken und sehen unter uns das etwas belebter wirkende Sanntal. Eine große Kreuzotter, mitten auf dem Weg, jagt uns beim Abstieg einen ordentlichen Schrecken ein. Gott sei Dank ist sie schon tot und so kommen wir unversehrt in den hübschen Marktflecken Morzirje. Wir trinken Kaffee und ich kaufe mir eine neue Kappe.

Wie immer in verbautem Gebieten, irren wir dann ein wenig herum, bis wir wieder den richtigen Anschluss finden. Wir überqueren die Savinja, wandern durch Siedlungen und tauchen schließlich im Wald unter. Hier kommt nun ein langer, gleichbleibend steiler Anstieg, der ziemlich schweißtreibend wirkt. Wir gehen ihn verdammt zügig und ich denke, daß wir schon wieder ganz gut in Form sind. Oben zeigt sich das Land leicht wellig, eine Art Hochfläche mit vereinzelten Bauernhöfen. Bei einem dieser Gehöfte machen wir Rast. Mehrere Männer werken hier in einem größeren Schuppen an einer ratternden Gattersäge. Hinter diesem Schuppen hocken wir mit nackten Oberkörpern und ohne Schuhe gemütlich in der Sonne und lassen es uns gut gehen. Zwei kleine Buben kurven mit einem Minitraktor vor uns hin und her. Nur zögernd nehmen sie von uns einige Stücke Schokolade an. Die hübsche, junge Frau, die nun mit einem Schubkarren unseren Rastplatz quert, dürfte wohl ihre Mutter sein. Sie ist schwarzhaarig, auffallend drall und hübsch, und lacht uns auf eine Art und Weise an, daß unsere Gespräche automatisch auf das Thema Nr. 1 kommen. Ja, ja, das Leben hat schon so seine Verlockungen!

So gemütlich es hier auch ist, so müssen wir doch zur Kenntnis nehmen, daß noch einiges an Wegstrecke vor uns liegt und daß der Himmel zunehmend dunkler wird. Wir ziehen also weiter, die ersten Regentropfen fallen. Aus den ersten Tropfen entwickelt sich nun leichter Dauerregen. Wir gehen schnell, um noch vor einem möglichen Gewitter in Maria Creta anzukommen. Es nützt uns aber nichts, wir müssen uns den höheren Mächten beugen. Gerade noch rechtzeitig vor dem wirklich starken Regen stellen wir uns bei einer überdachten Scheuneneinfahrt unter. Auch hier spielen zwei kleine Buben im Freien und sind offensichtlich schon klitschnaß. Eine robust und energisch wirkende Frau holt sie schließlich in`s Haus. Sie ist nett und bittet auch uns in die warme Stube. Wir lehnen dankend ab. Wir bleiben im Unterstand und beobachten das schwere Gewitter mit seinen Begleitern: Wind, Nebel, Blitz und Donner. Wir sind hier ziemlich im Zentrum des Geschehens. Plötzlich wird es noch ein bißchen lauter. Ein Traktor taucht auf und tuckert langsam in unsere Einfahrt. Der Fahrer winkt uns gleich zu sich und lädt uns in gut verständlicher Zeichensprache auf einen Drink ein. – Das Wort Slibowitz ist uns ohnehin gut geläufig. Wir lehnen wieder dankend ab! Warum eigentlich? Nachdem der Boss weg ist, verziehe ich mich nach oben in die Tenne und verkrieche mich ein wenig in einem Heuhaufen. Ich rieche das Heu, spähe durch den Lattenrost nach Draußen und lausche dem prasselnden Regen. Kindheitserinnerungen steigen in mir hoch! Nach einer guten halben Stunde hat der Regen soweit nachgelassen, daß wir wieder losziehen. Es bleibt zwar relativ dunkel, kühl, windig und feucht, aber wir sind sicher schon bei schlechterem Wetter unsere Wege gegangen. Was mich persönlich mehr ärgert ist die Tatsache, daß es schon wieder endlos bergauf geht. Meinem Gefühl nach müßten wir ja schon bei 3000 m Seehöhe angelangt sein, dabei sind es kaum mehr als 1000m.

Ziemlich menschenleer erscheint uns die Gegend hier. Hauptsächlich durch Wald führt unser Weg, doch auch 2 Partisanendenkmäler und einige kleine Gehöfte lassen wir hinter uns. Fernsicht gibt es heute nicht, sodaß schließlich so gegen 16h30, ziemlich abrupt die Wallfahrtskirche Maria Creta vor uns auftaucht. Eine schönes, einsam auf einem Bergrücken dastehendes Bauwerk, umgeben von einer hohen Ringmauer. Natürlich ist sie abgesperrt, so dass wir uns mit einer Besichtigung von Außen begnügen müssen.

Wir wissen, daß wir eigentlich schon am Etappenziel sind, trotzdem dauert es nun wieder etwas, bis wir uns zurechtfinden. Ein schmales Steiglein führt uns steil nach unten. Beim ersten Gehöft das wir sichten, wird gerade eine große Sau zerlegt. „Gibt`s heute Schweinebraten“, fragt Christian die arbeitenden Männer. Sie lachen, laden uns auf einen Slibowitz ein und wir lehnen schon wieder ab.

Nach einiger Fragerei und Sucherei sind wir dann am Tagesziel, einem unscheinbaren Haus, angelangt. Schon ein wenig eine andere Welt hier. Vor dem Gebäude hängen in einer Astgabel die metallischen Reste eines schweren Maschinengewehres. Darunter ist auf einem flachen Stein, feinsäuberlich nach Größe geordnet, jede Menge Munition zu besichtigen. Am Chef des Hauses, einem kleinen, drahtigen Alten, fallen mir vor allem seine wachen Augen und seine schmuddelige, alte Uniformjacke auf. Er schmunzelt immer ein bißchen beim Reden (gebrochenes Deutsch) und wir erfahren schließlich von ihm, daß wir in einer eigenen Hütte untergebracht würden. Einer seiner 3 Söhne begleitet uns mit dem Schlüssel dahin. Wir betreten eine Art Jugendherberge, die offensichtlich schon längere Zeit nicht mehr benutzt wurde. Im Gemeinschaftsraum stehen die Sessel auf den Tischen, Marschall Tito in weißer Uniform grüßt würdig von der Wand herab, Küche; Bad und WC sind sauber aufgeräumt.

Sepp findet Brennholz hinter dem Haus und gemeinsam setzen wir beide den kleinen Gusseisenofen in Gang, bis es nur so prasselt und knackt. Christian entdeckt den Schalter für den El - Boiler, so dass wir bald darauf auch noch warmes Wasser haben. Bevor wir es uns aber so richtig gemütlich machen, gehen wir noch zum „Alten“ rüber, da wir einen ordentlichen Hunger haben. Meine Hoffnung auf eine kräftige Bauernmahlzeit zerschlägt sich rasch! Eine „Eierspeis“ könnten wir haben, erklärt uns der Alte in unverkennbar altösterreichischem Dialekt. Wir sitzen also auf der kleinen Eckbank und löffeln unsere Eierspeise zu je 4 Eiern, aufmerksam beobachtet von der kompletten Familie, die gegenüber an der Außenwand auf einzelnen Stühlen Platz genommen hat. Christian unterhält sich recht unbefangen mit den Leuten, sein breites Bayerisch paßt irgendwie gut hierher. Der Alte erzählt in seinem schwer verständlichen Dialekt von den strengen Wintern hier, vom Wild und seiner Jagdbegeisterung. Irgendwie wirkt er auf mich wie ein Kommandeur. —Wenn er spricht, verstummen alle anderen sofort, vor allem auch seine mindestens um einen Kopf größere Ehefrau. Einer seiner blassen, hochgewachsenen Söhne ist übrigens Germanistikstudent in Maribor und dementsprechend werden wir von dem freundlichen, jungen Mann recht gut informiert. Den späteren Abend verbringen wir dann in unserer inzwischen schon warmen Hütte bei einigen Bieren. Der Schlaf im Massenlager oben ist o.k., wir haben viel Platz.

Mi, 8.7.: Maria Creta – Moravce

Wir säubern unsere Behausung recht ordentlich und marschieren gleich „reisefertig“ rüber zum Chef. Wir bekommen ein kräftiges Frühstück serviert: Kaffee, Schwarzbrot und ein großes Teller übervoll mit Käse und Wurst. Kurz vor dem Abschied zeigt man uns noch ganz stolz diverse Umbaumaßnahmen an dem alten Gebäude. – Einen riesigen, neuen Kachelofen im Wohnzimmer, fast halb so groß wie der Raum. Alle sind jetzt sehr nett und gesprächig. Wir satteln unsere Rucksäcke und sind wieder unterwegs in einen neuen Tag. Nach ca. 300 m muß ich noch einmal zurücklaufen, da ich den Hausschlüssel in meiner Hosentasche entdecke. Der Weg führt uns nun bergauf und bergab, wobei bergab etwas überwiegt. Auf der linken Seite öffnen sich immer wieder schöne Ausblicke in das Savetal.

Ja, es war etwas zu weit bergab! Wir müssen ein ordentliches Stück bergauf zurücklaufen, kommen dabei gleich frühmorgens ins Schwitzen, diskutieren und ärgern uns über den Zeitverlust. An einer Scheune, gar nicht mal so leicht zu übersehen, finden wir dann wieder einen unserer rot-gelben Kreise.

Das Land ringsum erinnert immer noch an Kärnten oder die Obersteiermark, nur etwas verschlossener, unbesiedelter. Laut unserem Wanderführer queren wir hier auch irgendwo die alte Landesgrenze zwischen Krain und der Untersteiermark. --Geschichte!

Lange wandern wir durch dieses schöne Land und kommen erst gegen Mittag wieder tiefer runter in die Ortschaft Motnik, die schwer einsehbar zwischen den Waldbergen liegt. Hier wird eine Straße gebaut und wir müssen, um in den Ort zu gelangen, eine breite Schlammfurche queren. Am Brunnen vor dem Friedhof reinigen wir unsere Schuhe von dem zähen, roten Schlick. Ich glaube, wir haben alle 3 völlig durchnäßte Schuhe. Kirchenbesichtigung von außen, vorbei am Partisanendenkmal und rein in den Ort, in dem wir einiges erledigen können: Telefonieren, Einkaufen, Gasthausbesuch. Beim Weitergehen ärgern wir uns dann, daß wir nicht doch in diesem Gasthaus gegessen haben. Das Menü (handfeste Fleischpflanzerl mit vielen Beilagen) war verlockend genug und die beiden Kellnerinnen hübsch und neugierig. Egal, wir quälen unsere alten Knochen wieder mal bergauf. Das Wetter ist schöner geworden und die Landschaft wirkt langsam südlicher. Nur noch vereinzelt sind Fichten zu sehen, hauptsächlich wandern wir nun durch wesentlich artenreichere Laubwälder.

Nach dem nächsten Abstieg holt uns die Zivilisation wieder ein. Ziemlich unvermittelt stehen wir plötzlich an der Schnellstraße Wien-Marburg-Laibach. Zuerst durchwandern wir noch die Ortschaft Trojane, müssen dann aber mangels eines geeigneten Weges diese leicht bergauf führende Hauptstraße einige Km entlangwandern. Selten habe ich einen derart ununterbrochenen Fahrzeugstrom, das Vorbeidonnern von Schwerfahr-zeugen, all den Lärm und Gestank, belastender empfunden als hier. Oben am Sattel, zweigen wir Gott sei Dank nach links ab und sind bald darauf wieder in einem Waldgebiet unterwegs. Die Landschaft ändert nun endgültig ihr Gesicht. Wir queren mit mageren Kiefern bewachsene Sandhänge und Karsttrichter, die uns nun zu einer etwas belebteren Landschaft hinführen. Malerische Bildstöcke häufen sich, auch die kleine Ortschaft Borje mit schöner Kirche lassen wir an diesem Mammutwandertag hinter uns. Danach geht es wieder aufwärts und mitten im Wald, auf einer Hügelkuppe taucht so gegen 15h das Bergkirchlein Golcaj auf. -- Einer der Plätze, die im Gedächtnis bleiben.

Wir jausen und trinken, betrachten Bauwerke und Gegend. Ziemlich nahe im Norden ist eine relativ schroffe Gebirgskette zu sehen, und ferne im Westen ein schillerndes, imposantes, vermutlich schneebedecktes Hochgebirge. Ich denke, im Norden sind es die Karawanken und im Westen das Triglav-Massiv. Sepp bezweifelt ein wenig meine Geographiekenntnisse, aber was soll`s? Hauptsache wir sehen das alles! Wir räkeln uns im weichen Gras, die Sonne bescheint uns warm, die Zeit scheint stillzustehen. Sepp drängt nun schon ein bißchen, Christian und ich können uns fast nicht losreißen von hier. Endlos zieht sich heute der Weg und wir kommen nun in ein weites, fast baumloses, hochgelegenes Hügelland. Schon von weitem sehen wir die Wallfahrtskirche Limbarska Gora.

Die Sonne brennt, der Rucksack drückt und ich wundere mich schon ein wenig über die gute Kondition von Sepp und Christian. Christian, mit obligater Blume im Strohhut, zieht stoisch seine Bahnen und Sepp ist, wie fast immer, locker und aufmerksam unterwegs. Haben die beiden heimlich trainiert oder sind es die Stöcke die sie benutzen? Werd ich`s das nächste Mal halt auch versuchen und den zusätzlichen Kram mitschleppen! Die Serpentinen bis zur Kirche ziehen sich und wir freuen uns schon unbändig auf ein Bier. Leider wieder eine Fehlkalkulation, Kirche und Wirtschaft sind geschlossen. Unter uns im Tal sehen wir einige Ortschaften und mit der Hoffnung auf ein rasches Ende dieser Tagesetappe wandern wir bergab. Von einem älteren Mann, den wir um Auskunft fragen da es wieder mal so gut wie keine Markierungen gibt, werden wir auf Getränke eingeladen. Wir wollen aber nicht zurück nach L.G. und so gehen wir weiter bergab und sind alsbald wieder weit entfernt von Weg und Markierungen. Nach längeren Beratungen schlagen wir uns querfeldein durchs Gelände, ca. Richtung Süden. Nach einer Weile gelangen wir an eine schmale Asphaltstraße und wandern diese bergab, ohne wirklich zu wissen, wo es hingeht. Ein Mann, der an seinem PKW herumwerkelt, erlöst uns endlich aus unserer Unsicherheit, der Weg bergab ist richtig. Bier mag ich jetzt bei dieser Hitze und Müdigkeit keines, und so bringt mir dieser nette Mensch eine große Flasche kalte Limo. - Wohltuende Aufmerksamkeit in mehrfacher Hinsicht!

Die Asphaltstraße zieht sich auch noch recht ordentlich und zum erstenmal in diesen Tagen melden sich meine Hüftgelenke recht unangenehm. Erst am späten Nachmittag erreichen wir Moravce, einen etwas größeren Ort mit k.k. Flair. Die Quartiersuche wird, entgegen unserer ersten Einschätzung, doch wieder zum Problem. —Alles zu hier!! Schließlich landen wir im Hinterhof eines altehrwürdigen Gasthofes, wo wir fast eine Stunde lang herumhockend, auf den Chef des Hauses warten. Schließlich kommt er doch noch! Wir bekommen 2 Zimmer in einem Nebengebäude das ein wenig unbewohnt wirkt und in dem es aufdringlich nach Toilette stinkt. —Trotzdem fühlen wir uns pudelwohl, als wir uns frisch gestylt und gebraust (lauwarmes Tröpferlbad) auf die Suche nach einem guten Essen machen. Das einzige Speiselokal des Ortes sieht außen und innen ganz gut aus, mit großem Speisesaal, leider hat die Küche schon geschlossen. Es bedarf unseres geballten diplomatischen Geschickes, das sich die Kellnerin, eine stattliche Blondine, einen Ruck gibt und für eine Zeit lang in der Küche untertaucht. Das Ergebnis ist dann aber recht erfreulich: Wienerschnitzel, Bratkartoffel, Salat, etc.

Es schmeckt und gefällt uns hier und auch der Durst eines langen Wandertages wird ausreichend gelöscht. Laut Streckenbeschreibung waren wir 34 km bei insgesamt 1029 Höhenmetern unterwegs. Einige km können sicher für unsere diversen Herumirrereien zugerechnet werden. Den Heimweg nutzen wir noch für eine Ortsbesichtigung. Auffallend sind hier die wunderschöne Barockkirche mit dem Doppelturm und die endlosen Namenslisten auf dem Kriegerdenkmal für die Opfer des zweiten Weltkrieges. Geschichtliche Hintergründe würden mich hier interessieren!

Do, 9.7.: Moravce – Grosuplje

31 km, 1199 Höhenmeter, 9,5 h, sind die nüchternen Daten aus unserem Tourenbuch.

Um 7 Uhr bekommen wir bereits das Frühstück in der behaglichen Gaststube unseres Wirtes. Baut schon auf, so ein heißer Kaffee und all das Drumherum, das zu einem richtigen Frühstück gehört. Christian, der Antiquitätensammler, entdeckt über der Bar sehr seltene, altbayerische Bierkrüge, worauf wir vom Wirt erfahren, daß er während des Krieges in einer Fabrik in Nürnberg gearbeitet habe. Es war, erzählt er uns, eine sehr schöne Zeit für ihn und dieses Jahr würde er zum drittenmal eine Reise dahin unternehmen.

Nach ca. 2 km Flachetappe beginnt wieder ein steiler Weg mit ca. 4 km Länge, den wir aber locker und ohne Aufenthalt durchmarschieren. Oben, mitten im Wald, folgen wir den deutlich frischeren Markierungen die uns wieder steil nach unten führen. Wir dürften uns dadurch die Anhöhe Miklavc mit Bergkirchlein „erspart“ haben. Macht uns aber gar nichts, wenn ich daran denke wie viele Retour-und Suchkilometer wir schon gelaufen sind. Nach schönen Heuwiesen durchwandern wir das Dörfchen Velika Vas, eine ländliche Idylle, und queren danach die Hauptstraße Litija-Lubjana.

Wir gönnen uns eine kurze Rast und marschieren anschließend über eine originelle, überdachte Holz-Hängebrücke über den hier bereits erstaunlich breiten Save Fluß. Wieder führt uns der Weg aufwärts, Namen und Landschaften ziehen an uns vorbei, jedoch alles etwas wärmer und südlicher als zu Beginn. Die Hauptstadtnähe wird allerdings auch spürbar: Asphalt, Kulturlandschaft und Besiedelung nehmen zu.-

Verglichen mit den hiesigen Ballungszentren allerdings immer noch viel freies Land. Am frühen Nachmittag kehren wir bei einem idyllischen Berggasthof ein. Ich bestelle ein mir unbekanntes Gericht und bekomme wieder das obligate Krautgulasch mit Bohnen. Im Übrigen ist es für uns schon verblüffend, wie oft und intensiv man in diesem Land an den Partisanenkrieg erinnert wird. Vor dem Gasthof sind mehrere Denkmäler und Schautafeln zu besichtigen. In einem hinteren Stüberl des Gasthofes entdecke ich eine Art Fotoausstellung. Ich sehe die Menschen, die damals lebten, handelten, litten oder auch fröhlich waren!? Durchwegs junge Menschen in Uniform, auch viele Frauen darunter, meist mit offenen, lachenden Gesichtern. An einer großen Landkarte kann ich die militärischen Bewegungen der Gruppe „Stajerska“ verfolgen. Die gekreuzten Klingen zeigen mir, daß es auch in Unterkärnten bereits während des Krieges gekracht haben dürfte.

Die Karawane zieht weiter, im Verlaufe des Nachmittages werden die gelben Punkte wider rar und irgendwann sehen wir nur noch weiße. Bei einem Wirt auf einer weiteren Bergkuppe erfahren wir dann, daß wir nicht mehr auf dem E6 sind. Genaugenommen sind wir ein Tal zu weit gelaufen. Zwischen uns und dem Weg auf dem gegenüberliegenden Höhenzug liegt ein tiefer Graben. Nach umfangreichen Diskussionen, Wegsuchereien und Kartenstudium, wandern wir einfach die schmale Asphaltstraße entlang bis Police, wo wir wieder auf den E6 stoßen. Schnell geschrieben, doch in Wirklichkeit war dies eine arge, lange Asphalt-Hascherei.

Wir verlieren den Weg allerdings nach Polica recht schnell wieder, denn hier beginnt bereits das typische Straßen-Autobahn-Neubaugewirr aller Randbezirke größerer Städte. Bei der 1. Info heißt es, nur noch ca. 2 km bis Grosuplje! Dann kommt diese kleine Brücke mit dem geknickten weißen Pfeil nach links. Rechts sind einige ältere Gebäude zu sehen, kein Mensch weit und breit. Ich überlege auch noch, in einem der Häuser die Leute nach dem rechten Weg zu fragen. Ich lasse es aber bleiben, der geknickte Pfeil scheint uns eindeutig und wir marschieren auch längs einer sumpfigen Wiese, die in unserem Führer erwähnt ist.

Bei der 2. Info (ca. 20min später) sind es dann noch ca. 3 km bis Grosuplje. Unsere Nerven beginnen zu vibrieren und dies umsomehr, da das Gebiet wieder total abgelegen erscheint und wir auch genau wissen, daß wir bei der Brücke falsch gelaufen sind. Doch es gilt die eherne Weitwanderregel: Gehe nie einen Meter zurück! Eine weitere ¼ Stunde später, es geht nun auch noch stramm bergauf, erfahren wir von einer Mountain-Bikerin, dass es noch 4-5 km bis Grosuplje wären.

Diese Information stellte sich letztlich als richtig heraus. Wir waren fast schon da, umwanderten aber als Fleißaufgabe einen bewaldeten Bergrücken Wir nähern uns nun daher von Süden aus der Stadt. - So geschafft waren wir noch nie in diesen Tagen. Mit brennenden Füßen (ich auch noch mit Hüftschmerzen) schleppen wir uns in den Ort. Ungefähr in Ortsmitte dann das große Hotel.- Die Rezeption im 1. Stock entpuppt sich als neue Bankfiliale. - „Nix mehr Hotel hier!“ - Ach je, erst mal einen Drink in der kleinen Bar unten. Die Barfrau telefoniert ein wenig für uns herum und schließlich haben wir unser Quartier. Ein älterer Mann begleitet uns dahin, einem neuen Hotel am Stadtrand mit 4 od. 5 Sternen. Der Preis ist uns wurscht, obwohl wir nicht mehr ganz liquid sind und unbedingt eine Bank oder einen Bankomat brauchen. Jeder hat nun sein eigenes Zimmer mit Bad, TV und allem Drumherum. Nach mehreren Tagen sanitärer Unterversorgung ist das schon auch ein Genuß.

Nach dem Duschen entdecke ich an meinem hinteren Hodensack, wo ich ohne Spiegel nichts sehen kann, eine eigenartige Verdickung. Sepp, der Hausarzt, diagnostiziert einen ausgewachsenen Zecken, der sich da eingegraben hat. Ich versuche erst gar nicht ihn selbst zu entfernen, sondern beschließe, dies in der örtlichen Klinik am nächsten Morgen machen zu lassen. Den Abend selbst verbringen wir gemütlich bei einem guten Abendessen und einigen Gläsern Rotwein auf der Terrasse vor unserem Hotel. Danach Körper-und Ausrüstungspflege, Kanälespringen im TV und schließlich tiefer Schlaf.

Fr, 10.7.: Grosuplje - Zelimlje

Tja, der letzte Wandertag ist wieder einmal viel zu schnell angebrochen. Nach dem Frühstücks-Buffet mache ich mich gleich auf den Weg zum Krankenhaus. Nach einiger Warterei macht sich eine mollige, resolute Muttergestalt über meinen Zecken her. Die Sache dauert, mehrmals entschwindet sie und kommt mit neuen Messerchen, Pinzetten und OP-Brille daher. Auch eine zweite Ärztin beäugt sich das Problem. Schließlich muss der Bursche doch nachgeben und ich kann ihn mir auch anschauen. Niemand will hier Geld oder Versicherungsdaten von mir, so dass ich mich bei der Dame bedanke und das Krankenhaus verlasse. Vorher werde ich noch vor dem möglichen Auftreten einer Boreleose gewarnt

Die Geldabheberei klappt leider nicht so gut, das Gerät akzeptiert meine Bankomatkarte nicht, so dass ich mich bei Sepp etwas verschulde. All das dauert, und so brechen wir erst gegen 10 Uhr zur letzten Kurzetappe auf: Grosuplje-Zelimlje, 15 km, 4,5 h Gehzeit. Die Täler sind breiter hier, die Hügel nicht mehr so hoch und verkarstete Böden nehmen zu. An Sehenswürdigkeiten stoßen wir auf ein befestigtes Bergkirchlein, welches gerade umfassend saniert wird, sowie auf ein großes Karst-Höhlensystem. Der Höhleneingang ist leider auch verschlossen, so dass wir nur den kalten Hauch aus der Tiefe mitbekommen. Trotz größter Mühe finden wir die Iskra-Schlucht nicht, die in unserem Führer erwähnt ist. Was es bei uns zu Hause zuviel an Schildern gibt, das sind es hier sicher zu wenig. Aber was soll`s! Wir absolvieren ja kein Sightseeing-Programm, sondern wollen einfach unterwegs sein, Zeit haben, Natur genießen, nichts verursachend oder hinterlassend.

Unser „Zielort „ entpuppt" sich als ein kleines Buffet an der Hauptstraße nach Laibach. Nach etwas Warterei bringt uns die Kellnerin eine überdimensionale „Klobase-Platte“ (Wurstplatte) an der wir uns den Bauch ordentlich vollschlagen. Es gefällt uns immer besser hier, die sich einstellende Abschiedsstimmung verursacht einen rapid steigenden Bierkonsum. Die Fahrt nach Laibach wird zum Problem. Wir müssen ins Tal runter, dort fährt ein Bus, heißt es. Ein Junge aus dem Lokal begleitet uns ein Stück und schon tauchen die vertrauten gelb-roten Kreise wieder auf. Also den steilen Hang runter, über den Bach, und hinein in das kleine Dorf Selim. „Heute fährt hier kein Bus mehr“, erfahren wir von einer jungen Frau, „nur oben auf der Hauptstraße“. Während wir uns grün und blau ärgern, verhandelt die Frau mit einem Autofahrer, den sie offensichtlich kennt. Dieser (ein Salesianer) bringt uns zu einer Bushaltestelle an der Hauptstraße, ca. 15 km vor Laibach.

Von nun an geht alles sehr glatt. Der Bus bringt uns direkt zum Laibacher Hauptbahnhof. Hier können wir Geld wechseln, die Fahrkarte für die Heimfahrt am nächsten Tag besorgen, sowie auch gleich ein Hotel in Bahnhofsnähe buchen. Dahin führt uns dann auch unser erster Weg. Im engen Dreibettzimmer dauert es etwas, bis wir im Schichtbetrieb mit Duschen und Umziehen fertig sind. Sepp und Christian kommen immer noch gestylt wie am ersten Tag daher, ich selbst komme mir schon ein wenig zerknittert vor. Den Abend verbringen wir in der Altstadt, der man vor allem österreichische und italienische Einflüsse deutlich ansieht. Vor allem fallen mir viele wunderschöne Jugendstilbauten auf. Im Stadtführer lese ich: „Laibach blickt mit dem Kopf nach Norden und mit dem Herzen nach Süden.“

Die Suche nach einem geeigneten Eßlokal dauert endlos, wir sind offensichtlich nach unserer kargen Woche mit der Auswahl überfordert. Irgendwann bekomme ich dann aber doch noch meine Cevapcici. Später landen wir in einer Altstadtkneipe, die im Laufe des Abends immer voller wird und wo unsere Stimmung mit dem Alkoholpegel kontinuierlich ansteigt. Wir verlieren hier ein wenig den Überblick über Art und Zahl unserer Getränke und kaufen in der allgemeinen Rührseligkeit einer älteren Frau einige Strohblumensträußchen ab. Sie scheint direkt überrascht, daß wir ohne Handeln bezahlen.

Sa, 11.7. Abreise

Sepp und ich lassen uns Zeit für Morgentoilette und Frühstück, Christian ist schon ausgeflogen. Wie wir später am Bahnhof von ihm erfahren, kaufte er auf einem Markt in der Altstadt Blumen und eine große Tüte mit verschiedenen Gemüsesorten. Für die letzten slowenischen Tolars leisten wir uns in einer kleinen Bahnhofskneipe noch Mineralwasser und Kaffee. Tja, und dann geht es mit dem Zug wieder Richtung Norden. Ab Unterkärnten ist der Himmel durchgehend bedeckt und ab Tauerntunnel regnet es. Was gibt es Schöneres? Heimat, du hast uns wieder!

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