Fränkischer Gebirgsweg II

Mit dem Zug von Dessau in Neusorg, meinem Startpunkt für diesen Abschnitt angekommen, ergibt sich gleich die Gelegenheit, tief in die fränkische „Kultur“ einzutauchen. Da das Restaurant im Ort, es gibt immerhin eines, Ruhetag hat, gerate ich auf der Suche nach etwas Essbarem in eine „“Huatze-Stub’n“ – einziges Gericht auf der „Speisekarte“ eine deftige fränkische Brotzeit. So kann ich mich gleich mal eigentlich für die gesamte Tour stärken und hemmungslos der Fleischeslust frönen: Schinken, Presssack, Kaminwurzen, rote Wurst, weiße Wurst, und davon reichlich, sowie einem Stückchen Käse – erstaunlich, dass es nicht auch vor Scham rot geworden ist.

Dieses mein fränkisches Abendmahl wird begleitet von mannhaftem Dreschen der Schafskopfkarten und der natürlich dringend erforderlichen lautstarken Spielnachlese „wie man so blöd sein kann im zweiten Stich den Schippenunter……“ und so fort. Dabei ist ständig die gute alte Schnupftabakdose im Einsatz, begleitet von zahlreichen kernigen Schneuzern in überdimensionierte karierte Schnupftücher. Also zünftiger kann doch eine Wanderung auf dem fränkischen Gebirgsweg gar nicht beginnen.

1. Etappe: Neusorg – Bad Alexanderbad

Saukalt ist’s und nebelig, als ich mich nach einem ausgiebigen Frühstück auf den Weg mache. Gut, dass ich, einem plötzlichen Impuls folgend, vor der Abfahrt noch schnell eine lange Unterhose in den Rucksack gestopft habe. Sie leistet mir jetzt gute Dienste. Nur an Handschuhe hatte ich natürlich nicht gedacht.

Zunächst geht es durchs Höllbachtal bis zu einem Kalvarienberg, auf den ein Kreuzweg hinauf führt, der mit Zitaten von Adolf Kolping gesäumt ist, einem  deutschen katholischen Priester, der sich insbesondere mit der sozialen Frage auseinandersetzte und das Kolpingwerk begründete. Der Weg endet an der Herz-Jesu-Kapelle. Dort sind zwei Granittafeln angebracht – dem Granit begegnet am auf dieser Etappe noch häufiger -, in die der Text des Fichtelgebirgsliedes von Josef Hupfer eingraviert ist:

Ich bin gewandert weit umher
auf Gottes schöner Erden,
ich sah die Länder, sah das Meer,
doch keines wüsste ich nun mehr,
das könnt verglichen werden
dem Fichtelgebirg, dem Fichtelgebirg.

Die Berge sind nicht himmelhoch
voll Felsenriff und Zacken
und tragen auch kein Firnenjoch
und sind so schön und lieblich doch
und recken stolz den Nacken
im Fichtelgebirg, im Fichtelgebirg.

Das Meer gewaltig, wunderbar,
mit Wellen und mit Wogen;
es stellt die Ewigkeit uns dar.
mich hat der dunkle See fürwahr
noch besser angezogen
im Fichtelgebirg, im Fichtelgebirg.

Am Rhein liegt heller Sonnenschein,
die Burg grüßt von den Bergen
und an den Hängen wächst der Wein,
doch möchte ich nimmer dorten sein,
will lieber mich verbergen
im Fichtelgebirg, im Fichtelgebirg.

Und sind die Dörfer ärmlich klein
und sind auch karg die Felder,
es ist ein wunderbares Sein,
im herben Duft und so allein
zu wandern durch die Wälder
im Fichtelgebirg, im Fichtelgebirg.

Nach einem kurzen Abstieg vom Kalvarienberg geht es langsam aber stetig bergauf und immer tiefer hinein in ein wildromantisches Felsenlabyrinth, bestehend aus zahlreichen Granitformationen mit einer Wollsackverwitterung (das sind kantengerundete Gesteinsblöcke, die wie übereinandergestapelte Kissen oder Wollsäcke aussehen nur nicht so weich sind). Höhepunkt im wahrsten Sinne des Wortes (940 m) ist dann die Kosseine, auch der höchste Punkte der heutigen Etappe. Sie besteht im Gipfelbereich aus einem riesigen Granit-Blockmeer aus dem in Europa einzigartigen blauen Granit und darf nicht betreten werden, da unter Naturschutz stehend. In unmittelbarer Nachbarschaft lädt eigentlich das Kosseine-Haus zur Einkehr ist aber natürlich geschlossen.

Also geht’s erst mal wieder steil zu Tal, vorbei an weiteren interessanten Felsformationen wie dem Kleinen und Großen Haberstein, auf den man auch raufkraxeln kann, sowie dem Burgsteinfelsen, wo, Gott sei Dank, auch Goethe mal wieder gewesen ist. Einen letzten imposanten Granitblock, den Kaiser-Wilhelm-Felsen, passierend erreiche ich dann Luisenburg. Hier sollte die Etappe eigentlich zu Ende sein, aber es gab keine Übernachtungsmöglichkeit mehr. So muss ich noch einige Kilometer bis nach Bad Alexanderbad dranhängen, diesmal, Goethe hin oder her, auf den Spuren von Jean Paul, der ganz in der Nähe, in Wunsiedeln, geboren wurde. Ich komme noch am ältesten Freilichttheater Deutschlands vorbei, das ebenfalls in einem Felsenlabyrinth eingebettet liegt, in dem schon 1665 Wunsiedler Lateinschüler auf einer großen Granitplatte selbst verfasste Stücke aufgeführt und so die Theatertradition an diesem Ort begründet haben.

Rechtzeitig zu Kaffee und Kuchen erreiche ich nach einer wunderschönen Wanderung, die mehr als vollwertige Entschädigung für meine eiskalten Finger war, mein heutiges Etappenziel. Zu einer gesundheitsfördernden Badeanwendung hat es allerdings nicht mehr gereicht.

2. Etappe: Bad Alexanderbad – Fichtelberg

Zuerst muss ich mal zurück nach Luisenburg und den Anschluss an den Fränkischen Gebirgsweg wiederfinden. Dichter Neben hat die Landschaft eingehüllt und entsprechend feucht und kalt fühlt sich alles an. Nachdem ich oberhalb eines großen Parkplatzes meine Wegmarkierung durchs diesige Grau schimmern sehe, geht’s zunächst auf einem gut begehbaren Forstweg knapp zwei Stunden eben und mehr oder weniger immer geradeaus durch den Nebelwald. Die einzigen „Ereignisse“, wenn man sie denn so nennen will, sind die Tropfen, die der leichte Wind von Zeit zu Zeit auf mein Haupt pladdern lässt, doch ansonsten herrscht  eine geradezu paradiesisch-friedliche Atmosphäre.

Dann aber frischt der Wind heftig auf und als ich um die Mittagszeit den Nageler See erreiche ist er Nebel verschwunden und sogar die Sonne hervorgekommen. Nur wärmer ist es nicht geworden. Aber das ist nicht weiter schlimm, denn nun gilt es erst  einmal Höhe zu gewinnen. Auf steinigen steilen Pfaden führt der Weg nun stetig bergauf. Vorbei am Gasthof „Silberhaus“, der eigentlich für meine Mittagspause eingeplant war aber natürlich geschlossen hat, geht’s rauf bis auf 900 m zur Platte. Der Gipfel ist ein gewaltiges Granittrümmerfeld, das unter Naturschutz steht, ist hier doch der seltene Gartenschläfer zu Hause. Die Aussicht, die ich von hier bei strahlend blauem Himmel über weite Teile des Fichtelgebirges genießen kann, ist phantastisch. Aber ein heftiger, eisiger Wind lässt mich dann doch rasch wieder absteigen – leichter gesagt als getan auf einem stark verblockten und steilen Pfad.

Heil unten angekommen, ist entspannteres Schreiten nur kurzzeitig angesagt. Bald es geht, diesmal auf einem breiten Forstweg, wieder steil hinauf bis zum Seehaus und, man glaubt es kaum, dieses entpuppt sich als eine bewirtschaftete Hütte, täglich von 10:00 Uhr bis zur Hüttenruhe geöffnet, wie eine Tafel am Haus stolz verkündet. Dieses einmalige Wunder, es kommt auch auf dem weiteren Weg nicht noch einmal vor, muss zu einer verdienten, ausgiebigen Pause genutzt werden. Nach einem Blick auf die Uhr wird mir danach klar, dass ich die gesamte Etappe über den 1050 m hohen Schneeberg und, parallel zum Aufstieg, hinunter nach Fichtelberg nicht mehr schaffen werde. Ich beschließe daher, vom Seehaus quer abzusteigen, um den Gebirgsweg dort wieder zu erreichen, wo er vom Schneeberg herunterkommt. Dank meiner Wander-App finde ich auch eine passende Wegführung und so erreiche ich gegen halb fünf den zauberhaften Fichtelsee, der das Zentrum eines weitläufigen Moorgebietes bildet und offensichtlich ein beliebtes Ausflugsziel ist.

Aber noch bin ich nicht am Ziel. Ich muss noch gut drei Kilometer nach Fichtelberg rein und dort stellt sich dann heraus, dass meine Hotelunterkunft noch mal ein ganzes Stück einen Berg hoch auf der anderen Ortsseite liegt. Aber schließlich ist auch das mit jetzt doch schon recht müden Beinen geschafft – gut, dass ich vom Seehaus eine Abkürzung genommen habe. Und dann wartet im Hotel noch eine Überraschung auf mich: Zum ersten Mal in meinem Leben stehe ich, nach dem Öffnen der Zimmertür direkt im Badezimmer, gleich linker Hand die Toilette, die ich nach der langen Hatscherei durch den Ort jetzt auch dringend brauche. Im Hotel gibt’s zum Glück ein Abendbuffet, so dass ich zum Essen nicht noch mal in den Ort runter muss.

3. Etappe: Fichtelberg – Goldkronach

Nach einer geruhsamen Nacht und einem ausgiebigen Frühstück  direkt vom Hoteleingang auf den Ochsenkopf, den mit 1024 m zweithöchsten Berg des Fichtelgebirges, hinaufzusteigen und das bei 0° C, das ist schon ziemlicher Härtegrad. Entsprechend dauert es eine gewisse Zeit, bis ich so einigermaßen auf Betriebstemperatur bin – wenigstens scheint jetzt noch die Sonne.

Zunächst geht es stetig bergauf an zwei Quellen vorbei, die direkt hintereinander am Weg liegen: Die Fichtelnaabquelle, sie entwässert ins Schwarze Meer, und die Weißmainquelle, sie entwässert in die Nordsee. Es ist hier also nur ein Katzensprung über die Europäische Wasserscheide. Der Weg steigt immer weiter bergan und je näher ich dem Gipfel des Ochsenkopfes komme desto mehr zieht es zu. Oben angekommen ist von dem dort aufragenden Sendeturm nur noch der untere Teil zu erkennen, der Rest ist in den Wolken verschwunden. Das Wirtshaus daneben hat natürlich geschlossen und zu allem Überfluss fängt es nun auch noch an, zu schneien. Ich treffe hier auf eine Schulklasse aus München auf Klassenfahrt. Einer der Schüler fällt besonders auf: Oben rum Pullover, Anorak und Wollmütze, unten kurze Hose. Auf meine Frage nach seinem unorthodoxen und nicht gerade wetterangepassten Outfit erklärt er mir, dass sein Klassenlehrer ihm eine Cola spendiert, wenn bei dieser Tour auf den Ochsenkopf  seine lange Hose sauber bleibt. Was tut man nicht alles für eine Cola auf lau.

Der Abstieg vom Ochsenkopf lässt mich mal wieder am Menschenverstand zweifeln oder besser verzweifeln. Ich passiere zwei riesige Baustellen, wo neue Schneisen für weitere Skiabfahrten durch die Landschaft gefräst werden und einer der Bauarbeiter erzählt mir stolz, dass parallel auch neue Hochleistungswasserleitungen entlang der Piste verlegt werden, die eine komplette Beschneiung durch Schneekanonen erlauben. Kopfschüttelnd setze ich meinen Abstieg fort. Auch die Wege sind zum großen Teil kaum noch begehbar, weil auf ihnen das schwere Gerät zum Pistenbau bewegt werden muss. Das alles hinterlässt einen entsetzlichen Eindruck bis die ersten Häuser von Bischofsgrün erreicht werden. Hier verlasse ich kurzzeitig den Wanderweg Richtung Innenstadt, um mich erst mal bei einer gehaltvollen heißen Kartoffelsuppe zu stärken und aufzuwärmen.

Nachdem mich die Signatur des Fränkischen Gebirgsweges ein wenig kryptisch wieder aus Bischofsgrün herausgeführt hat, ist mal wieder Forststraßengehatsche angesagt,  zwei Stunden lang flach und immer geradeaus. Dann endlich wird der Weg wieder ein Wanderweg, auch die Sonne kommt langsam heraus und die 4°-C-Marke wird geknackt. Das hebt merklich die Stimmung. Ich komme zum Fürstenstein, einer Felsenburg, die, wie mich eine Infotafel belehrt, aus Gneisphyllit mit Einsprengseln von schwarzem Tonschiefer besteht. Dabei handelt es sich um einen sehr selten vorkommenden Epigneis vulkanischen Ursprungs, der es aber nicht bis zum echten Gneis geschafft hat, weil bei seiner Entstehung Druck und Temperaturen nicht hoch genug waren. Der Weg führt weiter durch ein interessantes ehemaliges Bergbaugebiet. Hier wurde vor ca. 600 Jahren ein Jahrhundert lang Golderz abgebaut in Gruben mit so schönem Namen wir „Mittlerer Name Gottes“. Auch viele Goldwäscher waren an den umliegenden Bächen und Flüssen fündig geworden. Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation befand sich hier einer der bedeutendsten Goldfundorte im ganzen Reich – etwa 3 kg wurden pro Woche gefördert. Man kann sich denken, dass die Obrigkeit auf diesen Ort ein ganz besonderes Augenmerk richtete und der Name meines Zielortes, Goldkronach, erklärt sich jetzt von selbst.

4. Etappe: Goldkronach – Bayreuth

Ich glaub’s ja nicht, schon am Morgen, als ich zum Frühstück über den Hof gehe, sind die Temperaturen bereits in einem erträglichen Bereich und die Sonne strahlt vom Himmel.  Das wird sich auch den ganzen Tag über nicht ändern und schon bald kann ich die erste „Zwiebelhaut“ abstreifen. Satte 20°C werden sogar noch erreicht. Dass ich gestern noch bei Schneefall auf den Ochsenkopf gestapft bin, kommt mir schon mehr als unwirklich vor.

Ansonsten ist über die ersten vier Wegstunden nichts Bemerkenswertes zu berichten. Die Gegend ist landwirtschaftlich geprägt und man durchquert einige kleine Orte, die wie ausgestorben vor sich hin dösen. Auf diesem Etappenabschnitt grenzt es allerdings schon an Unverschämtheit, diesen Weg, der fast ausschließlich auf Asphalt mit z.T. langen autogerechten Steigungen und Gefällen verläuft, als Wanderweg zu bezeichnen. Beim Schild am Ortsende des Dörfchens „Reuth“  fällt mir dann noch ein kleines Wortspiel ein: „Bye, bye Reuth, zwar ohne Bay doch bei Bayreuth“.

Erst auf den letzten Kilometern wird es wieder interessanter und angenehmer zu laufen, als sich dem Fränkischen Gebirgsweg erneut der Jean-Paul-Weg zugesellt, auf den ich bei den beiden ersten Etappen schon gestoßen war. Dieser fantasievolle Autor hat sich ja, wie auf etlichen Info-Tafeln am Weg ersichtlich, mit vielen Dingen befasst. U.a. haben mich seine Überlegungen zur Zukunft im Jahre 100 000 zum Schmunzeln aber auch zum Nachdenken gebracht. Das ein oder andere möchte ich den geneigten Leser*innen nicht vorenthalten:

„Wenn wegen der entsetzlichen Bevölkerung alle Dörfer sich zu Städten ausgebauet und die großen Städte mit den Toren an einanderstoßen und Paris blos ein Stadtviertel ist und der Landmann oft auf seinem Dache ackert, das er ganz artig urbar gemacht ……wenn die Handwerker und Gelehrten in immer kleinere Subsubdivisionen auseinander gewachsen….wenn das letzte wilde Volk aus seiner Puter-Eierschale ausgekrochen, und zwar schneller als das erste….wenn zwischen allen Völkern, wie jetzt zwischen Herrnhutern und Juden die Schiffe wie Weberschiffe verwebend hin und her schießen und der Thüringer seinen nordamerikanischen „Reichsanzeiger“ mithält und den afrikanischen „Moniteur“ – Himmel! wenn dann der ganze Globus schreibt, der Nord- und der Südpol Autor ist und jede Insel Autorin, wenn Rußland die Werke selber verfertigt, die es eben daher früher nicht eingelassen…..wenn man die Wolken so richtig, wie kürzere Sonnenfinsternisse prophezeien kann, Schwanzsterne ohnehin; und wenn die Flora und Fauna im Monde so gut bearbeitet ist, als die Länderkunde des Abendsterns……wenn Flotten von Luftschiffen über der Erde ziehen und die Zeit alle ihre griechischen Futura durchkonjugiert – wenn alles unzähligemale da gewesen, ein Gottesacker auf dem andern liegt, die alte runzlichte graue Menschheit ein Jahrtausend nach dem andern vergessen und nur noch, wie andere Greise, sich ihrer schönen Jugendzeiten in Griechenland und Rom erinnert, und der ewige Jude, der Planet, doch noch immer läuft – – sag' an, wann schlägt es in der Ewigkeit 12 Uhr und die Geisterstunde der Erd-Erscheinungen ist vorbei?« 
»Es gibt einmal einen letzten Menschen – er wird auf einem Berg unter dem Äquator stehen und herabschauen auf die Wasser, welche die weite Erde überziehen – festes Eis glänzet an den Polen herauf – der Mond und die Sonne hängen ausgebreitet und tief und nur blutig über der kleinen Erde, wie zwei trübe feindliche Augen oder Kometen – das aufgetürmte Gewölke strömet eilig durch den Himmel, und stürzet sich ins Meer und fährt wieder empor, und nur der Blitz schwebt mit glühenden Flügeln zwischen Himmel und Meer und scheidet sie. Schau' auf zum Himmel, letzter Mensch! Auf deiner Erde ist schon alles vergangen – deine großen Ströme ruhen aufgelöset im Meere.

Das absolute Highlight dieser Etappe ist dann, schon auf Bayreuther Stadtgebiet gelegen, die „Eremitage“. 1715 ließ Markgraf Georg Wilhelm zu Bayreuth in einem ehemaligen Jagdgebiet oberhalb des Roten Main ein Sommerschlösschen errichten, in dem er mit geladenen Gästen vom Hofe Eremitenspiele veranstaltete. Dazu durfte das illustre Völkchen das Schloss nicht etwa durch das herrschaftliche Gartenportal betreten sondern musste sich, eine erste Übung in Demut, durch ein niedriges Kellergewölbe hineinbegeben. Danach gelangte es in einen „Reinigungsraum“, in jeder Ecke mit ausgeklügelten Wasserspielen, bevor man dann eine der Eremitenklausen, die rings um den Schlossinnehof lagen, betreten und seine edlen Gewänder gegen eine einfache Kutte tauschen konnte. Für die Dauer des Spiels, meist so eine Woche, verbrachte man einen Großteil der Zeit schweigend in seiner Zelle, die adeligen Damen kochten selber einfache Gerichte aber es gab auch gesellige Zusammenkünfte mit Musik und Tanz im Festsaal des Schlosses. Das Ganze diente der Erholung von den permanenten Zwängen der höfischen Etikette und es galt als besondere Ehre, vom Markgrafen dazu eingeladen zu werden.

Seiner Gemahlin, Wilhelmine von Preußen, die es zeitlebens als unstandesgemäß empfand, hier in der Provinz als Markgräfin gelandet zu sein, stellte er dann, da er sie sehr verehrte, sämtliche Mittel zur Verfügung, mit denen sie zunächst die Eremitage und des Weiteren auch die Stadt Bayreuth zu einem prächtigen Hof ausgestalten konnte. Aber so recht zufrieden war sie dennoch nicht, sollte sie doch eigentlich Königin von England werden. Aber immerhin wird sie bis heute als die Mutter des Bayreuther Tourismus verehrt.

Morgen gibt’s keine Wander- sondern eine Sightseeingetappe, auf der ich mir Bayreuth anschauen will und was die Wilhelmine dort so alles auf die Beine gestellt hat.

5. Etappe: Bayreuth – Bayreuth

6. Etappe: Bayreuth – Lindenhardt

Diese Etappe ist wieder sehr reizvoll, ja wenn man erst mal aus Bayreuth raus ist. Das gestaltet sich allerdings an einem Sonntag gar nicht so einfach, weil die Busse in den Außenbezirken der Stadt überhaupt nicht fahren. Das heißt, bis man die Stadt verlassen hat und wieder auf dem Fränkischen Gebirgsweg ist, ist sehr viel mehr Asfalttreten angesagt als ursprünglich geplant. Dann aber wird der Weg wunderschön. Er verläuft großenteils auf schmalen Pfaden entlang des Roten Mains, der hier durch eine zauberhafte Flusslandschaft mäandriert. Mal laufe ich direkt am Fluss, mal schaue ich von oben auf ihn herab, immer begleitet von seinem Geplätscher und vom Gezwitscher einer reichen Vogelwelt. Plötzlich streift mit kräftigem Flügelschlag ein Graureiher, den ich wohl bei seiner Lauer auf Beute gestört habe, davon; dann wetzen zwei Hasen eine ganze Zeit auf dem Weg vor mir her; und kurz darauf windet sich der Pfad durch ein dichtes Spalier der schönsten Weihnachtsbäume. So macht Wandern Spaß.

Es gibt auch einiges Interessantes am Weg zu entdecken. So führt ein kurzer Abstecher zur Bodenmühlwand, wo sich der Rote Main so tief eingegraben hat, dass eine 20 m hohe Steilwand entstanden ist, in der 230 Millionen Jahre alte Erdschichten betrachtet werden können. Die Wand wurde mit dem Gütesiegel „Bayerns schönste Geotope“ ausgezeichnet. Nicht weit davon entfernt werden auch heute noch Saurierspuren gefunden, anhand derer von Experten der Übergang von den Archosauriern zu den Dinosauriern untersucht wird.

Dass auch die Wasserkraft des Roten Main genutzt wurde, davon zeugt heute noch die Schlehenmühle. 1497 erstmals urkundlich erwähnt war sie bis 1982 in Betrieb. Sie war eine der ersten Mühlen in der Region, in der sogenannte Becherwerke (siehe Skizze) eingebaut waren, so dass keine schweren Säcke mehr geschleppt werden mussten. Dafür war allerdings zusätzliche Wasserkraft erforderlich, über die der Rote Main hier aber noch nicht verfügte. Deshalb musste das Wasser nachts aufgestaut werden. Knapp einen Kilometer flussaufwärts kann man heute noch die Stelle erkennen, wo ein Mühlkanal abgezweigt wurde.

Kurz hinter der Mühle verlasse ich kurzzeitig den Fluss, wo der Weg mich steil hinauf zum Forsthaus „Kamerun“ führt, ein Wirtshaus mit schönem Biergarten aber wie üblich geschlossen. Die Gelehrten streiten noch darüber, ob das Forsthaus so heißt, weil es mitten im fränkischen Urwald liegt, oder ob der Name lediglich eine Verballhornung von „Hier kamm‘er ruhn“ ist.

Ein paar Kilometer weiter treffe ich wieder auf den Roten Main, von wo mich dann ein schmaler Pfad entlang einer Bahnlinie nach Creußen führt. Creußen hat eine schöne kleine Altstadt du ist mit seiner Pfarrkirche St. Jakobus ein Punkt zum Innehalten und eine bedeutende Station auf dem deutschen Abschnitt des Jakobsweges – auch ich werde angesprochen, ob ich als Pilger auf dem Weg nach Santiago de Compostella unterwegs bin. Der Ort ist auch weit über die Grenzen der Region hinaus bekannt für das Creußener Steinzeug. Es gibt dafür sogar ein Krügemuseum und am Bahnhof wird man mit folgender Inschrift begrüßt:

Wir würden Sie ja gerne mit einem Krug Bier willkommen heißen,
aber die Krüge sind gerade alle im Museum.

Creußen wäre eigentlich der Endpunkt der Etappe, aber es gibt dort keine Übernachtungsmöglichkeit mehr. Das bedeutet für mich, noch zusätzlich 8 Km auf einer Landstraße stetig bergauf bis nach Lindenhardt weiter zu laufen. Dabei darf nicht getrödelt werden, denn sonst würde ich in der einzigen Gaststätte dort auch nichts mehr zum Abendessen bekommen. Doch es ist noch mal alles gut gegangen und so kann ich mich gut gesättigt zur Nachtruhe begeben.

Ich hatte geplant, von Lindenhardt aus noch zwei Etappen auf dem Fränkischen Gebirgsweg dranzuhängen, aber alle Versuche, dafür noch Unterkünfte zu finden, waren leider zum Scheitern verurteilt. Für eine Nacht als Einzelperson gibt’s auf den nächsten 60 Km nichts mehr. Da in dieser Region auch der komplette öffentliche Nahverkehr eingestellt ist und das nächste Taxi in Bayreuth bestellt werden müsste, kann man auch nicht sinnvoll auf weiter vom Weg entferntere Orte ausweichen. Und so muss ich dann am nächsten Tag nach Creußen zurück laufen – wenigstens bergab -, um vom dortigen Bahnhof die Heimreise anzutreten. Vorher wartet aber in der Dorfkirche zu Lindenhardt noch ein kulturelle Highlight auf mich: 1684 schenkte die reiche Gemeinde von Bindlach den armen Lindenhardtnern nach einem Brand für ihre neu errichtete Kirche einen Nothelfer Altar mit den Bildtafeln von Matthias Grünewald. So ist aus dem Umstand, in Creußen kein Bett mehr gefunden zu haben, für mich, der ich ja ein großer Bewunderer von Grünewald bin, noch ein tolles künstlerisches Erlebnis geworden.

Ein kurzes Fazit:

Dieser Abschnitt des Fränkischen Gebirgsweges ist kulturell reizvoll und landschaftlich wunderschön. Leider lässt die fürs Weitwandern erforderliche Infrastruktur sehr zu wünschen übrig. Die Übernachtungsmöglichkeiten sind unzureichend. In einigen Etappenorten gibt es überhaupt keine mehr und in anderen nur noch Ferienwohnungen, die nicht an Einzelwanderer und nur für mehrere Tage vermietet werden. Auch die Einkehrmöglichkeiten, sowohl in den Zielorten wie unterwegs, sind häufig geschlossen und allenfalls abends und /oder am Wochenende geöffnet. Da es auch vielerorts keine Läden mehr gibt, kann auch die Verpflegung zum Problem werden. Es gibt in diesem Abschnitt drei Bahnstationen, ansonsten beschränkt sich der öffentliche Nahverkehr auf Schulbusse.

Auch die Wegbeschaffenheit ist häufig nicht sehr wanderfreundlich. Oft führt der Weg über eintönige geschotterte Forststraßen oder gar Asphalt. Rastplätze, die bei schlechter Witterung auch mal ein Dach über dem Kopf bieten, sind äußerst selten. Also zum Weitwandern kann ich diesen Teil der Fränkischen Gebirgsweges eher nicht empfehlen. Das Qualitätssiegel „Wanderbares Deutschland“ bedarf m.E. zumindest für diesen Abschnitt der Überprüfung.

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